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1860: Einmal Chaos, immer Chaos?
"Wenn hier einer das Sagen hat, bin ich es"

1860: Einmal Chaos, immer Chaos?
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In München wurden die Karten wieder neu verteilt: Das fünfte 1860-Präsidium in vier Jahren will den Klub befrieden, der wegen einer Privatfehde zwischen Präsident von Linde und Geschäftsführer Ziffzer 15 Monate führungslos dahinschlingerte.

»Das war Stil des Hauses. Der eine kannte sich nicht aus, der andere führte ihn vor«, analysiert Franz Maget traurig. Von Linde zog sich zunehmend in sein Schneckenhaus zurück, die Frechheiten des Geschäftsführers wuchsen ihm über den Kopf. Doch Ziffzer kannte kein Pardon. Unversöhnlich bilanziert der Geschäftsführer: »Ein Tischtuch zwischen uns, das zerschnitten werden könnte, hat es nie gegeben. Wenn jemand antritt, um mich abzuschießen, muss ich mich doch wehren.« Karsten Wettberg versuchte, zum Wohle des Klubs zwischen dem schlingernden Präsidenten und dem angriffslustigen KGaA-Boss zu vermitteln: »Ich sagte zu Ziffzer: ›Von Taktik verstehen Sie wenig. Sie hätten es so leicht gehabt, wenn Sie von Linde als Präsidenten respektiert hätten.‹« Kleine Gesten hätten wahrscheinlich gereicht: hier eine stillschweigende Zustimmung auf eine Bitte von Lindes, dort ein paar VIP-Karten für dessen Freunde. Doch Ziffzer verwies immer wieder darauf, wie streng er seinem Arbeitsvertrag verpflichtet sei.

Als im Februar 2008 Ziffzer und Reuter ohne Wissen des Präsidiums einen Ausrüstervertrag mit dem Sportartikler »Erima« einstielten, erhielt der Geschäftsführer eine erneute Ermahnung. Dass sein Kompagnon Reuter ohne disziplinarische Maßnahme davonkam, wurmte den ehrgeizigen Manager fast noch mehr als der erneute Verweis. Ziffzer verstand sich schließlich als Einheit mit dem eher profillosen Weltmeister. Sportlich ging es mit Sechzig in dieser Phase rapide bergab. Das junge Team von Trainer Marco Kurz schloss die Zweitligasaison als schwächste Rückrundenmannschaft auf dem 11. Platz ab. Für einen Klub, der sich tendenziell in der Bundesliga verortet, eine Katastrophe. Am 8. Mai 2008 reagierte der »Kicker« mit einem Artikel auf die sportliche Talfahrt, in dem über eine Ablösung von Stefan Reuter spekuliert wurde. Darin wurde ein hochrangiges Mitglied aus dem Führungszirkel der 60er zitiert: »Kein Vertrag ist sakrosankt. Fußball ist ein ergebnisorientierter Sport. Wenn der Erfolg ausbleibt, gibt es Änderungen.« Für Ziffzer gab es keinen Zweifel, wer da Stimmung gegen seinen Weltmeister-Kumpel machte. Es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Nach dem nächsten Löwen-Heimspiel gegen den VfL Osnabrück sprach der Manager in der Presskonferenz die bedeutungsschwangeren Worte, die kaum ausgesprochen schon als düsteres Fanal in die Annalen der 1860-Historie eingingen: »Der Fisch stinkt vom Kopf her, und bei uns ist der Kopf der Präsident. Dieser Präsident ist eine Schande.« Als Begründung verwies Ziffzer darauf, dass ihm Hauptsponsor »Trenkwalder« während des Spiels mitgeteilt habe, sich die Querelen im Klub nicht länger bieten zu lassen. Als der Geschäftsführer nach seiner Rede den VIP-Raum betrat, sollen einige Sponsorenvertreter spontan applaudiert haben. Präsident von Linde rief Ziffzer noch im Stadion die fristloses Kündigung zu. Das Präsidium ließ ihm noch am Pfingstmontag die Entlassungspapiere zustellen. Lapidarer Kommentar Albrecht von Lindes: »Er hat nie verstanden, wer Koch und wer Kellner ist.« Ziffzers gewohnt beißende Replik: »Wenn der Koch nicht kochen kann, steht der Kellner auf verlorenem Fuß.«

Der »Amoklauf« (O-Ton Franz Maget) des Geschäftsführers verfehlte seine Wirkung nicht. In den darauffolgenden Tagen drohten zahlreiche Sponsoren mit der Kündigung ihres Engagements, eine Geschäftsgrundlage sei aufgrund der Außendarstellung des Klubs nicht mehr gegeben. Derweil sprachen sich 11 der 15 Mitglieder des Vereinsrates gegen das Präsidium aus und forderten seinen Rücktritt, »um weiteren Imageschaden von unserem bald 150-jährigen Verein zu nehmen.« Auch die Arge legte von Linde in einem offenen Brief nahe, sein Amt zur Verfügung zu stellen. Am 26. Mai 2008 bot der Präsident angesichts der dramatischen Reaktionen dem Aufsichtsrat seinen Rücktritt an – und auch Karsten Wettberg musste seinen Hut nehmen. 1860 München hatte jegliche Glaubwürdigkeit verspielt. Franz Maget, der letzte verbliebene Vorstand, sagt: »Wir standen am Abgrund – wirtschaftlich und imagemäßig.«

Als sich der Rauch verzogen hatte, präsentierte der Klub den Prokuristen des Sponsors »Münchner Flughafen GmbH«, Rainer Beeck, als neuen Mann an der Spitze. Alleiniger Geschäftsführer der KGaA – und damit der große Gewinner von Ziffzers Kamikaze-Auftritt – ist nun Stefan Reuter. Taktisch klug hatte sich der einstige Verteidiger in den Tagen des Donners zum Verein bekannt und war auf Distanz zu seinem impulsiven Partner gegangen. Zum ersten Mal, seit Karl-Heinz Wildmoser abgedankt hatte, herrschte von einem Moment auf den anderen Ruhe im Verein. Die Lage war so ernst, dass selbst die verfeindeten Fan-Lager von Arge und »Pro 1860« ihre Rivalität ruhen ließen und dem neuen Präsidium in der Zeit der Konsolidierung ihre Unterstützung zusicherten. Jedem war durch das Mediengewitter, das Ziffzers Ausbruch hervorgerufen hatte, klar geworden, in welchem Schlamassel der einst so glamouröse Traditionsklub 1860 steckte. Der durch seine Popularität, Geschichte und Fanstruktur von außen fast unzerstörbar erscheinende Verein war durch jahrelang schwelende innere Konflikte aufgezehrt und sportlich ohne Perspektive, weil trotz eines Zuschauerschnitts von 300.000 kein Geld für attraktive Transfers übrig blieb. Nun konnte es passieren, dass auch noch die überlebenswichtigen Sponsoren den Blauen den Hahn zudrehten. 58, 59… aus?

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