Marcus Uhlig, Vorstand von Rot-Weiss Essen, und RWE-Sportchef Jörn Nowak mussten einiges an Gegenwind überstehen, als sie im Frühjahr des Jahres 2020 die Trennung von Trainer Christian Titz bekanntgaben. Im Essener Fan-Umfeld kam die Demission des bei der Anhängerschaft beliebten "Big Titz" gar nicht gut an.
Doch auch wenn für Außenstehende manche Entscheidungen als falsch oder zweifelhaft gesehen werden, wird am Ende - allen voran im Sport - alles am Erfolg gemessen. Und: Für Uhlig (49) und Nowak (34) spricht der Erfolg. Sie lockten Drittliga-Trainer Christian Neidhart an die Hafenstraße und verstärkten den Kader, wie mit Stürmer Simon Engelmann, der in 20 Spielen 18 Mal für RWE traf. Der Rest ist die Geschichte eines Regionalliga-West-Wintermeisters 2020/2021 - und DFB-Pokal-Achtelfinal-Teilnehmers.
RevierSport hat mit den beiden RWE-Protagonisten lange und ausführlich über die abgelaufene Serie, die Rückrunde, aber auch deren eigene Zukunft bei Rot-Weiss Essen gesprochen. Hier folgt Teil eins des Doppelinterviews.
Marcus Uhlig, Hand aufs Herz: Haben Sie von solch einer Hinrunde geträumt?
Was heißt schon geträumt. Träumen dürfen im Fußball die Fans. Wir Verantwortlichen sollten die Dinge immer analytisch angehen. Wir haben, als sich im Frühjahr abgezeichnet hatte, dass wir nicht aufsteigen, angefangen, eine extrem umfangreiche Planung für diese Saison in die Tat umzusetzen. Davor gab es eine ebenso umfangreiche wie selbstkritische Analyse der Saison 2019/20. Natürlich war es unser Ziel, dass wir die Dinge, die in der letzten Spielzeit nicht optimal waren, bestmöglich optimieren. Aber dass es so gut läuft, kannst Du nicht planen. Du kannst nur die Wahrscheinlichkeiten dafür erhöhen, dass es so kommt. Aber um auf den Kern der Frage zurückzukommen: Ja - wir haben die Planung schon darauf ausgerichtet, dass wir ganz oben dabei sein können. Und wir sind froh und natürlich auch ein bisschen stolz, dass bislang vieles richtig gut gelaufen ist.
Und im DFB-Pokal läuft es auch für RWE. Der Verein steht seit 13 Jahren das erste Mal im Achtelfinale des Wettbewerbs. Was bedeutet das für den Klub? Es ist eine total emotionale Geschichte. Dass wir gegen Bielefeld weitergekommen sind, ist ja auch eine eigene Geschichte für mich. Ich war ja lange Zeit bei der Arminia und lebe in Bielefeld. Und das wir jetzt ins Achtelfinale eingezogen sind und Düsseldorf rauskegeln, ist der Wahnsinn. Die Einnahmen sind natürlich in Zeiten der Corona-Pandemie gar nicht hoch genug zu bewerten. Sind sind auch nicht eingeplant gewesen. Für uns ist das Geld schon mehr als nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Jetzt freuen wir uns auf das Achtelfinale und wünschen uns wieder ein Los wie Bielefeld oder Düsseldorf. Einen Gegner, den wir an einem guten Tag besiegen können. Auf die Champions-League-Teilnehmer wie Bayern München, Leipzig, Mönchengladbach oder Dortmund kann ich gerne verzichten. Das gilt auch für Leverkusen. Mal schauen, [article=508875]was die Losfee am 3. Januar für uns vorgesehen hat[/article].
Jörn Nowak, nach dem Sie im Sommer 2019 sozusagen zu ihrem RWE-Start Karsten Neitzel entließen und Christian Titz verpflichteten, sich später von Titz trennten, haben Sie nun den Druck gespürt, erfolgreich sein zu müssen? Nein, überhaupt nicht. Weder intern noch extern. Es geht aber auch nicht um mich, sondern ausschließlich um Rot-Weiss Essen. Wir haben unsere Entscheidungen aus voller Überzeugung getroffen und wir würden sie immer noch genauso wieder treffen.
Was sagen Sie den Leuten, die der Meinung sind, dass RWE mit solch einem Kader aufsteigen muss? Jörn Nowak: Kein Kader der Welt kann dir den Aufstieg garantieren. Wir haben durch unsere Personalpolitik versucht, die Wahrscheinlichkeit auf Erfolg zu erhöhen. Um aber am Ende tatsächlich auch aufzusteigen, gehört viel Arbeit und Anstrengung aller Beteiligten dazu.
Ist Rot-Weiss Essen eigentlich das neue Viktoria Köln der Regionalliga West? Marcus Uhlig: Die Frage verstehe ich nicht genau. Wenn sie darauf bezogen ist, dass wir mit einem sehr hohen Budget im Vergleich zur Konkurrenz arbeiten können, ist die Antwort ein klares Nein. Wenn die Frage in die Richtung geht, ob wir nach etlichen Versuchen in diesem Jahr unser großes Ziel endlich erreichen können, dann sage ich: gerne! Aber grundsätzlich sind die beiden Vereine doch sehr unterschiedlich und nicht miteinander zu vergleichen.
Was macht denn diese aktuelle RWE-Mannschaft aus?
Jörn Nowak: Neben der großen individuellen Qualität besticht die Mannschaft durch einen unglaublich großen Teamgeist. Alle eint das gemeinsame Ziel, mit RWE in die 3.Liga aufzusteigen. Jeder Spieler erfüllt seine jeweilige Rolle und trägt seinen Teil zum Erfolg bei.
Hat Rot-Weiss Essen ein Torjäger wie Simon Engelmann in den letzten Jahren gefehlt? Jörn Nowak: Simon Engelmanns Torjägerqualitäten in der Regionalliga sind unbestritten. Man darf aber nicht den Fehler machen und den Erfolg oder Misserfolg einer Mannschaft an einzelnen Spielern festmachen. Es ist immer die Aufgabe der Mannschaft, seinen Torjäger so zu unterstützen, dass er sich auf seine Kerndisziplin fokussieren kann
Sie sind etwas länger als Jörn Nowak bei RWE. Warum haben Sie nie solch einen Stürmer holen können? Marcus Uhlig: Im Fußball wird man immer am Ergebnis gemessen. Du kannst einen Spielertransfer so akribisch wie möglich vorbereiten, aber Du weißt trotzdem immer erst hinterher, ob und wie er funktioniert hat. Aber natürlich hatten wir alle schon bei der Anbahnung des Transfers von Simon Engelmann ein richtig gutes Gefühl. Dazu muss man sagen, dass in den Jahren zuvor ein vergleichbares Kaliber schlicht und ergreifend nicht auf dem Markt war.
Die ersten Spiele gegen Wiedenbrück und Ahlen verliefen, zumindest spielerisch, enttäuschend. Mal ehrlich: Was ging nach diesen Spielen in Ihnen vor?
Jörn Nowak: Ich war schockiert über die teils heftige und unsachliche Kritik, die uns entgegenflog und die sich insbesondere auf einzelne Personen fokussierte. Natürlich hatten wir in den ersten Spielen noch allerhand Luft nach oben, aber welche Mannschaft hat das zu Beginn einer Saison nicht? Man darf nicht vergessen, dass die Spieler fast ein halbes Jahr kein Pflichtspiel absolviert hatten und dass uns der Verband durch seine kurzfristige Planänderung bezüglich der Fortsetzung des Niederrheinpokals fast die halbe Sommervorbereitung genommen hat.
Wie haben Sie die erste Kritik-Welle nach den dürftigen ersten Spielen der Saison wahrgenommen? Marcus Uhlig: Wir sind bei Rot-Weiss Essen. Wir haben ein riesiges und heterogenes Umfeld mit zig Strömungen. Da wird in Foren, unter Online-Artikeln und in den sozialen Medien heiß und viel diskutiert. Grundsätzlich freue ich mich darüber, dass immer recht viel Dampf auf dem Kessel ist. Wir sind ein großer und massiver Klub, der vor allem von seinen und durch seine Fans lebt. Jedoch möchte ich an dieser Stelle auch loswerden, dass mich nach den Spielen gegen Wiedenbrück und Ahlen die zum Teil große Ungeduld und auch Negativstimmung schon sehr überrascht und geärgert hat. Es wurde ja schon gefühlt alles und jeder hinterfragt. Ist Neidhart der richtige Trainer oder ist Engelmann gut genug für RWE? Das war Wahnsinn, solche Stimmen zu lesen und mitzubekommen. Aber intern waren wir immer ruhig und von unserem Weg vollends überzeugt. Wir haben im Sommer so ein gutes Gefühl gehabt, dass wir uns von den ersten Stolpersteinen nicht haben umwerfen lassen. Uns war immer bewusst, dass wir uns in einer sehr, sehr besonderen Saison und Situation befinden. Es ist kein Sprint, es wird ein Marathon über 40 Spiele
Sie haben immer wieder zwischendurch an das Wir-Gefühl und auch Ruhe appelliert. Wurde dieser Appell erhört? Marcus Uhlig: Ich hoffe hier auf das Prinzip „steter Tropfen höhlt den Stein“. Ich weiß aus Erfahrung, dass wir unser großes Ziel nur gemeinsam erreichen werden. Bedeutet: Maximales Vertrauen, maximaler Support durch das Umfeld und möglichst wenig sinnlose Unruhe bzw. Ungeduld.
Wir haben die sportlichen Verantwortlichen und die Mannschaft das Umfeld, die Fans in dieser Saison wahrgenommen? Jörn Nowak: Anfangs war da diese große Sehnsucht und Erwartungshaltung. Seitdem es für uns richtig gut läuft, ist es eher ruhig geworden. Aber es ist, wie bei einem guten Freund: man sieht sich nicht täglich, man spricht nicht täglich miteinander, aber man weiß, dass der andere immer für einen da ist.
RWE ohne Fans. Wie fühlt sich das an? Marcus Uhlig: Daran werde ich mich nie gewöhnen. Wir spielen Fußball ja nicht zum Selbstzweck, sondern für die Leute, für die Fans. Und das gilt bei RWE im Besonderen. Ich hoffe inständig, dass wir zumindest Richtung Ende der Saison den Turnaround schaffen und sukzessive wieder Zuschauer in die Stadien lassen dürfen.
Zur Info: In Teil zwei des Doppelinterviews mit Marcus Uhlig und Jörn Nowak geht es um Trainer Christian Neidhart und die Sorge, ob ein höherklassiger Klub RWE den Erfolgscoach wegschnappen könnte, die Zukunft von Uhlig und Nowak sowie mögliche Kader-Korrekturen in der kommenden Wintertransferperiode.
[article=508668]Hier geht es zum zweiten Teil des Interviews[/article]