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Wie schlecht ist die Bundesliga wirklich?

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Ein Report: Wie schlecht ist die Bundesliga wirklich?
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Die Bayern feiern die sechste Meisterschaft in Folge. Zu viele Erstliga-Spiele sind inzwischen langweilig. Wie schlecht ist die Bundesliga wirklich? Ein Report.

Die Spielweise des FC Schalke ist — nun ja, nennen wir es: berechnend. Vermutlich könnte Trainer Domenico Tedesco jeden einzelnen Spielzug in Zahlen ausdrücken. Die Durchschnittsgeschwindigkeit bei Kontern. Den Schusswinkel bei Eckbällen von rechts. Den Kalorienverbrauch bei Freistößen von links. Dass Fußballfans, die nicht königsblau sind, kürzlich das 2:0 gegen Freiburg angewidert zur Kenntnis nahmen, muss ihn nicht kümmern. Sechster Sieg in Folge — Platz zwei. War noch was?

Ach ja, die Spielqualität. Nur sieben Schüsse aufs Tor in 90 Minuten. Schussgenauigkeit: nur 43,8 Prozent. Aber: vier von fünf Zweikämpfen gewonnen. Erst 30 Gegentore an 28 Spieltagen. Elf Spiele zu Null. Schalke 04 wird zum Sinnbild dieser Saison: „Der schlechteste Zweite der Liga-Geschichte“, heißt es vorschnell. „Es wird zunehmend darüber gesprochen: Was mache ich, wenn der Gegner den Ball hat?“, stellte Bundestrainer Löw fest. „Nicht: Was mache ich mit dem Ball?“

Die Opta Datenbank erfasst relevante Zahlen, Statistiken und Daten zu vielen Sportarten, nicht nur zum Fußball. Die im Text genannten Werte erstellte Opta im Auftrag dieser Zeitung. Opta analysiert solche Daten seit zwei Jahrzehnten (Namen zwischenzeitlich geändert) und gehört zur Firmengruppierung „Perform Group“ in London, die z.B. den Streamingdienst DAZN vor zwei Jahren gegründet hat.

In der Theorie sind die Trainer so gut ausgebildet, dass ihr vorrangiges Ziel lautet: den Gegner zu neu­tralisieren und kein Überzahlspiel zu erlauben. Im Mittelfeld, auf den Außenbahnen, nirgendwo. Die Branche nennt das: „gegen den Ball“ arbeiten. Spielverhinderung statt Spielgestaltung. „Es ist nichts, was uns tangiert — es ist legitim, alles zu hinterfragen“, sagte Domenico Tedesco selbstbewusst auf der Pressekonferenz zum HSV-Spiel am Samstag. „Ich weiß nicht, ob 20 Torchancen in einer Halbzeit attraktiv sind. Attraktivität liegt immer im Auge des Betrachters.“ Und da war das Freiburg-Spiel ganz nach seinem Geschmack: „Besser kann man das kaum spielen.“

Schnitt. Champions League. Der Blick ins Ausland. Man sieht Cristiano Ronaldo beim Tor per Fallrückzieher. Ein Ausnahme-Fußballer, zugegeben. Aber wann sieht man diese Kreativität mal in der Bundesliga? Oder Liverpool gegen Manchester City: Tempo-Fußball von Anfang bis Ende, atemberaubend schön. Volles Risiko.

In der Bundesliga dagegen will die Wochenzeitung „Die Zeit“ eine Tendenz zum Nichtangriffspakt entdeckt haben: „Dort begegnen sich zwei Kaninchen, die sich für Schlangen halten.“

Nur sechs der 18 deutschen Erstliga-Teams haben mehr als 50 Prozent Ballbesitz. Ob England oder Spanien, Italien oder Frankreich: In jeder der vier Top-Ligen können mehr Mannschaften einen größeren Gestaltungswillen für sich beanspruchen. Vielleicht gibt es dafür einen triftigen Grund: Die Passgenauigkeit, auch ein Qualitätsmerkmal, ist in der Bundesliga mit 78,4 Prozent die schwächste in Europa. In keiner Top-Liga wird häufiger gefoult: 28,1 Mal pro Spiel.

Die Fußball-Liga (DFL) wird trotzdem nicht müde, die Attraktivität aller 306 Paarungen pro Saison anzupreisen. Das ist ihr Job. Fernsehsender in aller Welt sollen die Bundesliga übertragen. Die Zahlen sprechen dagegen. Ursache ist nicht nur die Übermacht der Bayern mit jetzt sechs Meistertiteln in Folge. Es geht um Zahlen aus der Datenbank „opta“.

Demnach ist das die Wahrheit: Die Bundesliga erlebt gerade mit 2,69 den schwächsten Torschnitt seit 15 Jahren. Hannover 96 gegen Bremen am Freitagabend? Zu viele Spiele klingen schon langweilig. „Das ist auch kein Wunder“, sagt Peter Neururer, Trainer-Urgestein und selbst Schalker. „Die Bundesliga ist eine graue Masse geworden. Wie Fußball aus dem Katalog: Auf Seite 24 steht das, auf Seite 25 das — und auf Seite 26 gar nichts, weil es dafür keine Lösung gibt.“

Die Statistik gibt ihm recht: Bei Standardsituationen, die man ewig üben kann, ist die Bundesliga top. Seit der Datenerfassung 2004 gab es noch nie so viele Eckballtore, nämlich 0,4 pro Spiel.

Bis zu drei Scouts vermessen jedes Spiel des Gegners so penibel, bis der Fußball jenes Geheimnis verliert, das Argentiniens Fußballphilosoph und Weltmeister-Trainer Cesar Luis Menotti so benennt: „Täuschung, Raum, Zeit“. Fußball mutiert zu einer Wahrscheinlichkeitsberechnung: Es geht nicht um Tore oder Spektakel, sondern um Senkung der Fehlerquote.

Diese Haltung hat Folgen: Ist eine deutsche Mannschaft gezwungen, das Spiel zu gestalten, zum Beispiel gegen Außenseiter in der Frühphase des Europapokals, fehlt jede Übung. Dortmund gegen Nikosia: zwei Unentschieden. Hertha in Luhansk und Östersund: zwei Pleiten. Hoffenheim gegen Braga: zweimal vergeigt.

„Verteidigen“, sagt Bundestrainer Löw, „können alle. So kommt es zu Ergebnissen, die man nicht erwartet.“ Dazu die Zahlen: Von 51 Europapokalspielen diese Saison verlor Deutschland 23. In der Saison davor waren es 16. In der Fünfjahres-Wertung der Uefa liegt Deutschland aktuell auf Platz vier. Mit 9.142 Uefa-Punkten sammelte Deutschland weniger Punkte als Russland (12.400) und Frankreich (10.500). Und halb so viel wie England (18.500). Wie schlecht ist die Bundesliga also wirklich?

Spielerberatern liegen schon Jungstars in den Ohren, dass sie nach England wollen. Dorthin, wo sie an der Playstation die besser besetzten Teams kennenlernen. Und wo mehr Geld gezahlt wird. Die Bundesliga-Klubs stecken in der Klemme. Einerseits wollen sie Stars und damit Bestleistungen. Andererseits: das bitte ohne Investoren, die mitreden wollen (50+1), und ohne Kommerzialisierung (RB Leipzig). Eine Flucht setzt ein.

Schalker Freude über Effektivität

Ein Jahr vor Tedesco begann Sportvorstand Christian Heidel seine Arbeit auf Schalke. Trainingsanalyse war noch Handarbeit: Auf dem Balkon standen Mitarbeiter mit Handkameras und filmten Szenen vom Training eher zufällig als dokumentarisch. „Mit dem iPad“, scherzte Heidel. Auch die elektronische Taktiktafel fehlte. Fußball auf Schalke: Das hieß Arbeiten — nicht Optimieren. Er änderte das.

Heute ist Schalke modern. Und Trainer Tedesco spricht Schalke-Fans aus der Seele, wenn er sagt: „In Schönheit sterben oder kämpferisch gewinnen — da nehme ich lieber die zweite Variante.“ Ihm ist so ein Freiburg-Spiel lieber: „Wir freuen uns, dass wir wieder effektiv waren.“ Er ja.

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