Jamie Bynoe-Gittens stand falsch, und das war eine Premiere am Freitagabend. Der Offensivspieler war gerade vom Rasen gekommen, wo er mit Borussia Dortmund einen 3:1 (0:1)-Auswärtssieg gegen den SC Freiburg geholt hatte. Da stand er nun irgendwo im Bauch des neuen Stadions und sprach mit ein paar Journalisten, ehe ein Ordner heraneilte und unmissverständlich mitteilte: So geht das nicht! Bynoe-Gittens könne nicht hier mitten im Gang stehen bleiben, er müsse sich vor der Werbewand mit den Sponsorenlogos aufstellen. Der BVB-Profi lächelte, machte die wenigen Schritte zur Seite und fuhr dann ungerührt fort.
Mit der gleichen Selbstverständlichkeit, die er nach der Partie zeigte, war der gerade erst 18 gewordene Engländer auch zuvor auf dem Platz aufgefallen: Er hatte nur etwa 26 Minuten gespielt, er war Mitte der zweiten Halbzeit für Thorgan Hazard gekommen. Aber in dieser kurzen Zeit schoss er den Ausgleichstreffer, leitete das Führungstor ein – und bewies erstmals auf der großen Bühne Bundesliga, warum man beim BVB schon lange in höchsten Tönen von ihm schwärmt. „Er hat einfach unglaubliche Fähigkeiten, das Spiel zu beschleunigen und enge Situationen aufzulösen“, meinte BVB-Trainer Edin Terzic. „Das war nötig, um das Spiel zu drehen.“
Der BVB tat sich in Freiburg lange schwer
Lange nämlich war der Dortmunder Auftritt ein äußerst bescheidener gewesen, lange fiel den Gästen wenig ein gegen geschickt verteidigende Freiburger. Terzic hatte einige Varianten auf der Bank, um einen Impuls zu setzen, er hätte Julian Brandt, Emre Can oder den seit Jahren hochgejubelten Youssoufa Moukoko bringen können. Er entschied sich für Bynoe-Gittens, was so manchen Beobachter in Erstaunen versetzte – aber nicht für lange.
Mit den ersten Dribblings blieb der neue Mann zwar noch hängen, aber er versuchte es unverdrossen weiter. Er hatte ja auch einen klaren Auftrag mitbekommen: „Mach den Unterschied, hilf der Mannschaft mit Toren und Vorlagen, das Spiel zu gewinnen“ – mit diesen Worten hatte Terzic seinen Hochbegabten auf den Platz geschickt.
Freiburgs Torhüter hilft mit beim Ausgleichstreffer
Und der tat, wie ihm geheißen, er traute sich etwas – auch einen Schuss aus deutlich über 20 Metern, der eigentlich recht harmlos war, Freiburg-Torhüter Mark Flekken aber durch die ausgestreckten Hände flutschte. „If you don’t shoot, you can’t score“, sagte Bynoe-Gittens mit breitem Grinsen und noch breiterem Londoner Akzent: Wenn du nicht schießt, kannst du auch kein Tor schießen.
Genau diese unbekümmerte, selbstverständliche Haltung zeichnet den jungen Mann aus – und die außergewöhnliche technische Begabung, die beim Treffer zum 2:1 zum Tragen kam: Von links zog er nach innen, ließ zwei Gegenspieler stehen und steckte durch auf Julian Brandt. Zwei Kontakte später hatte Moukoko das 2:1 gemacht. Nur am 3:1 durch Marius Wolf war Bynoe-Gittens unbeteiligt.
Jamie Bynoe-Gittens schließt eine Lücke im Kader
Man hat vor der Saison viel über andere Spieler gesprochen beim BVB, vor allem über die Zugänge Karim Adeyemi, Nico Schlotterbeck und Niklas Süle. Bynoe-Gittens, aus der Jugend zu den Profis befördert, war seltener Thema, dabei bringt er etwas mit, was im BVB-Kader rar geworden ist: die Fähigkeit zum Tempodribbling, die Gabe, mit einer Einzelaktion dichtgestafffelte Abwehrreihen aufzureißen.
Mit etwas Verspätung wächst ein Nachfolger für den vor einem Jahr abgewanderten Jadon Sancho heran. Die Parallelen sind ohnehin erstaunlich: Beide wurden in London geboren, beide eiste der BVB in der Jugend von Manchester City los und führte sie über den eigenen Nachwuchs an die Profis heran. Denselben Berater haben sie auch. Und: Bynoe-Gittens könnte der nächste sein, der dem Klub eine Ablöse von 100 Millionen bringt, sagen sie beim BVB hinter vorgehaltener Hand.
Kein einfacher Start beim BVB
Dabei war der Start alles andere als einfach: Als das Ausnahmetalent im Sommer 2021 mit 16 nach Dortmund übersiedelte, legte die Corona-Pandemie die Junioren-Bundesliga lahm. Dann kamen ein Außenbandriss im Sprunggelenk und eine Schulterverletzung. 131 Tage fehlte er verletzt. Doch Bynoe-Gittens hat sich wieder herangearbeitet, hat in Freiburg Argumente gesammelt für einen Startelfeinsatz gegen Werder Bremen am Samstag (15.30 Uhr/Sky).
Hinter den Kulissen arbeitet der BVB derweil daran, den gestiegenen Stellenwert des Flügelflitzers in einem ausgedehnten und besser dotierten Vertrag abzubilden. Bynoe-Gittens fühlt sich beim BVB wohl, weshalb die Gespräche bislang harmonisch verlaufen. Die Hoffnung ist groß, bald etwas zu verkünden – möglicherweise schon in den kommenden Tagen.