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Ortstermin: Parkstadion – Die Träume der Kindheit
„Alle gingen sie hier durch"

Blick aus dem Medicos-Gebäude auf das Parkstadion. (Foto: firo)
Blick aus dem Medicos-Gebäude auf das Parkstadion. (Foto: firo)
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Die Nachricht erreichte die Welt am vergangenen Montagmittag. Der FC Schalke 04 und die Stadt Gelsenkirchen haben beschlossen, den Abriss des Parkstadions vorerst zu stoppen. Das 1973 in Betrieb genommene Stadion sei möglicherweise mit Gefahrenstoffen belastet, heißt es in einer offiziellen Erklärung des Vereins. Ein Gutachter soll nun klären, ob beim Rückbau der ehemaligen Schalker Spielstätte besondere Maßnahmen zum Schutze der Gesundheit und bei der Entsorgung erforderlich werden.

Eine Gnadenfrist von wenigstens einigen Wochen also, dachte ich, gut gemacht, Parkstadion, wehre dich. Und ich ertappte mich dabei mich zu fragen, ob ich noch ganz dicht in der Birne bin. Es handelt sich um einen Gefahrenstoff, versuchte ich mir klar zu machen.

„Wenn das nicht gekommen wäre, wäre das hier heute schon alles nicht mehr da gewesen, junger Mann“, wusste Albert Schreiber, einer derjenigen Menschen, die von Berufs wegen immer alles wissen, am Sonntag schon mehr und zeigte auf die riesige Tribüne.

Schreiber ist oder soll man besser sagen, war, Pförtner im Parkstadion. Wachmann nennt man das heute. Früher gewiss ein Traumjob, aber jetzt wartet er auf sein Gnadenbrot. „Alle gingen sie hier durch. Der Beckenbauer, der Seeler, die Bundestrainer“, erklärt der Rentner. Und der Papst wollte ich ihm antworten, aber ich sah, dass er schon genug mit sich zu kämpfen hatte. Sein zu Hause, das war das kleine etwa acht Quadratmeter große Büro direkt unter der Haupttribüne am Eingang zum Marathontor.

Sein neuer Arbeitsplatz steht nur 50 Meter weiter in Sichtweite, ein hässlicher, aber sicher dafür zeitgemäßer, weißer Container. Seit 1985 hat der frühere Drahtseiler im Parkstadion seinen Dienst versehen. Die Zeitzeugen hängen noch an und sicher auch in den Stahlschränken und Wänden. Ausgerechnet Asbest, dieses gefährliche Teufelszeug, bescherte mir also einen Ortstermin, den es schon gar nicht mehr hätte geben dürfen. Obwohl ich im Parkstadion meine halbe Jugend verbracht hatte und später nach dem Umzug in die Arena als Journalist vom Spielfeldrand viele Male das Training der Schalker Mannschaft beobachtet hatte, überkam mich eine sakrale Stimmung. Ob ich noch ein einziges Mal? „Das geht nicht, junger Mann“, antwortete der einzige Mensch, an dem nun all meine Erinnerungen hingen. „Das Ding ist einsturzgefährdet. Was meinen Sie, wenn da was herunterkommt“, entgegnete er - und ich wusste, er hatte Recht.

Ein Presseausweis zeigte Wirkung. „Aber nur zwei Minuten“, sah mich der frühere Thyssenarbeiter an. Und sein Gesicht verriet seine Gedanken: „Ich weiß doch genau, was Du willst. Mir geht es doch genauso“. Für kein Geld der Welt hätte ich in diesem Moment mit dem Kollegen im Trainingslager in Belek tauschen wollen.

Aus zwei Minuten wurde eine halbe Stunde. Aber ich schätze, das war ihm schon klar, als er mir die Absolution erteilte. Es lag eine gespenstische Ruhe über der Betonschüssel. Die Gelsenkirchener Abendsonne zeigte sich von seiner schönsten Seite.

„Ich nehme hier nichts mit raus“, betont der 69-Jährige. „Vorbei ist vorbei“ und er meinte sicher auch ein Stück vom alten Schalke. Er kann wenigstens noch zur Glückaufkampfbahn gehen, um sich die Träume seiner Kindheit zurückzuholen. Aber wohin gehe ich? Ein Betreten der Baustelle ist übrigens weiterhin und ausdrücklich verboten.

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