Warum die Goldene Generation alles ist, nur nicht golden, und wie es weitergehen sollte. Für den Sonntag waren über Freiburg Gewitter angekündigt. Joachim Löw ist erst mal in Deckung gegangen vor dem großen Gewitter, das sich da zusammengebraut hat.
Die Aufarbeitung und die Analyse, warum es auch 16 Jahre nach dem letzten großen Titel nicht geklappt hat, muss ohnehin warten. Löw (52) hat vorerst genug vom Fußball. Er hat sich in den beschaulichen Breisgau zurückgezogen, um die herbe EM-Enttäuschung zu verarbeiten. Auch Teammanager Oliver Bierhoff betonte nach dem 1:2 im Halbfinale gegen Italien, dass er "jetzt erst einmal Abstand" brauche: "Das muss man alles sacken lassen." Deutschland aber hat drängende Fragen.
Die Antworten der direkt Beteiligten werden auf sich warten lassen. Am Freitag war die gescheiterte Titel-Mission in Frankfurt/Main zu Ende gegangen. Löw und Bierhoff fuhren ernüchtert nach Hause, viele der frustrierten DFB-Stars flüchteten sofort in den Urlaub. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Die Diskussionen, vor allem über fehlende Führungsfiguren im Team, haben aber längst eingesetzt. Selbst vor Löw, bis Donnerstagabend noch unantastbar, machen die Kritiker nicht halt.
Durch seine umstrittenen Personalwechsel vor dem Halbfinale hat Löw seinen Zauber verloren. "Kaiser" Franz Beckenbauer sprach von "einem Eigentor". Doch die Diskussion dreht sich nicht mehr nur um die Wechsel gegen Italien, sie wird mittlerweile grundsätzlich: "Es ist oft von den flachen Hierarchien im deutschen Fußball die Rede. Der Nachteil dabei ist, dass die Spieler nicht zur Verantwortung erzogen werden. Und genau das hat in diesem Spiel letztlich gefehlt", sagte ZDF-Experte Oliver Kahn.
Es ist der Punkt, der alle Kritiker eint: Löw hat keinen echten Anführer. Gleichmacherei würge die Eigeninitiative der Spieler ab, schrieb Günter Netzer in seiner Kolumne für die Bild am Sonntag, dadurch, folgerte er, könnten sich keine "herausragenden Persönlichkeiten" entwickeln. Allerdings, schreibt Netzer, habe "jede herausragende Mannschaft" in der Geschichte des Fußballs "herausragende Persönlichkeiten" gehabt. Wie so viele, so spricht auch Netzer Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger ab, eine solche Persönlichkeit zu sein.
Löw teilte die Meinung der zahlreichen Kritiker nicht. "Wir haben die Leute, die Verantwortung übernehmen. Es ist eine andere Art von Führung heutzutage, aber die Spieler sind extrem ehrgeizig", betonte er. Löws Spieler verlieren allerdings die entscheidenden Spiele, gegen Italien, zuvor 2010 das WM-Halbfinale gegen Spanien (0:1). Und das Personal, mit dem Löw den nächsten Versuch startet, wird sich nicht groß verändern. Selbst Miroslav Klose (34) will noch zwei Jahre weiterspielen.
Beim Bundestrainer sitzt die Enttäuschung tief. Es sei alles "nicht so leicht abzuschütteln", sagte er, das werde ein paar Tage brauchen, "um Abstand zu gewinnen und die Dinge einzuordnen." Grundsätzliches will Löw aber "nicht infrage stellen. Die Mannschaft hat ein gutes Turnier gespielt, zum Teil Hervorragendes geleistet." Auch Mesut Özil forderte in der Welt am Sonntag, nicht alles "an einem Ergebnis" festzumachen. "Wir haben mit der gleichen Mannschaft 15 Spiele gewonnen."
Fragen nach seiner eigenen Zukunft empfand Löw als "völlig unpassend". Er wird auch beim ersten Länderspiel nach der EM am 15. August gegen Argentinien auf der Bank sitzen. Löw will nicht als Trainer in die deutsche Fußball-Historie eingehen, der zwar für schönes Spiel und eine tolle Philosophie stand, aber keinen großen Titel holte. Dafür ist er zu ehrgeizig, zu sehr wurmt ihn deshalb auch, sich verzockt zu haben. Für die Niederlage, sagte er, "übernehme ich die Verantwortung".
Auch wenn Löw erst einmal nicht über die WM 2014 in Brasilien sprechen wollte: In zwei Jahren will er endlich das nachholen, was er in Polen und der Ukraine wieder verpasst hatte. In ein paar Tagen geht's los mit dem Projekt 2014. Die Qualifikation für die WM beginnt bereits am 7. September mit dem Spiel gegen die Färöer. Gegner auf dem Weg nach Brasilien sind zudem Österreich, Irland, Schweden und Kasachstan. Bis dahin, sagte Löw, müsse er sich seine "Gedanken machen, welche neuen Ansätze und Anreize man finden kann".
Löw jedenfalls wirkte vor seinem Abtauchen entschlossen. Es gebe "neue Ziele, es beginnt ein neuer Abschnitt, eine neue Aufgabe". Selbst Ex-Kapitän Michael Ballack, dem Bundestrainer nicht gerade freundschaftlich verbunden, hält Löw "weiterhin für den richtigen Trainer". Dennoch dürfe man sich "die EM jetzt nicht schönreden". Löw müsse den "richtigen Schlüssel finden" und 2014 bei der WM in Brasilien "noch einmal angreifen".