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Der Fußball-Historiker & Globetrotter Hardy Grüne im Gespräch
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Der Fußball-Historiker & Globetrotter Hardy Grüne im Gespräch
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Wenn man Hardy Grüne besuchen will, sollte man entweder gutes Kartenwerk oder ein Navigationssystem an Bord haben. Irgendwo in der Nähe der niedersächsischen Universitätsstadt Göttingen, am Ende aller Autobahnen, fast schon Sachsen-Anhalt. Rasende Bauernsöhne mit tiefer gelegten VW-Polos machen die Landstraßen unsicher. Hardy Grüne, der eine Vielzahl von Standardwerken zur Fußballgeschichte vorgelegt hat und dem die FAZ den Ehrentitel „das Gedächtnis des Fußballs“ verlieh, hat jetzt die Fußball-Welt erforscht. Der erste Band seiner „Weltfußball Enzyklopädie“ ist gerade erschienen. Ralf Piorr sprach mit ihm über „die große runde Welt“.

Indien?

Ja, abgesehen von einigen Zentren rund um Kalkutta und Goa ist die Bedeutung des Fußballs dort sehr gering und steht noch tief im Schatten von Cricket, dem dortigen Volkssport. Aber gerade die indische Industrie entdeckt, dass Fußball die Weltsportart Nummer Eins ist und sucht darüber auch den internationalen Anschluss.

Wie haben Sie sich überhaupt zum Experten des asiatischen Fußballs gemacht?

Das Projekt der Enzyklopädie ist ein Langzeitprojekt gewesen, für das ich seit vielen Jahren Materialien gesammelt habe. In Form von Zeitungsartikeln, Reiseberichten oder Gesprächen. So habe ich versucht, mir von jedem Land ein Bild zu verschaffen. Es war schwierig zu verstehen, dass zum Beispiel in Indonesien die Regionalauswahlen viel wichtiger sind als die Vereine. Ich habe immer wieder dazugelernt und musste oft auch meine gewohnten Sichtweisen korrigieren – dazu habe ich eine Menge Länder entdeckt, die ich gerne besuchen möchte.

Sind Sie also so etwas wie der Karl May der Fußballweltgeschichte?

(Lacht.) Na ja, beim Schreiben habe ich jedenfalls immer einen Reiseführer dabei, Marke „Lonely Planet“, um tiefer in das Land eintauchen zu können. Die Fiktion hat also gegenüber den Fakten keineswegs gesiegt. Außerdem habe ich schon viele Länder besucht. Jetzt plane ich gerade einen längeren Afrika-Aufenthalt zum Afrika-Cup im Januar 2008. Diese Erfahrungen werden sicherlich im zweiten Band der Enzyklopädie einfließen, wenn es um Afrika, Ozeanien und Amerika geht.

War es nicht schwierig, die verschiedenen Mentalitäten zu begreifen, die sich ja auch im kulturellen Verhältnis zum Fußball widerspiegeln?

Das war das schwierigste, denn Fakten zusammenzustellen, ist an sich relativ einfach. Ich habe mir immer Experten gesucht, die mir beim kulturellen Verständnis der Region und des Landes weiterhelfen konnten. Durch die Gespräche mit einem vietnamesischen Bekannten, der lange Zeit in China gelebt hatte, bekam ich tiefere Einblicke in diese Region. Überhaupt zu verstehen, dass die Bedeutung der Vereine in Asien eine viel geringere ist als in Europa. Die Liebe, Anhänglichkeit, Nähe und Vereinstreue, die man aus Europa gewohnt ist, gibt es in diesen Ausprägungen in der asiatischen Fankultur nicht. Ein Manchester-United-Fan war womöglich traurig, als David Beckham zu Real Madrid wechselte, aber er blieb seinen „Reds“ treu. In Japan dagegen wechseln die Beckham-Jünger mit ihrem Star die Vereine. Das Fandasein ist dort eben deutlich mehr personalisiert als in Europa.

Steht die Begeisterung für die europäischen Stars nicht mitunter im Widerspruch zum Aufbau einer eigenen Liga?

Die „J-League“ hat dieses Problem elegant gelöst. Angefangen hat man mit Importen von Altstars wie Gary Lineker, Pierre Littbarski und Zico, um die Begeisterung zu schüren. Aber man hat auch frühzeitig gemerkt, dass man eigene Talente aufbauen muss, um das Interesse zu stabilisieren. Das ist mit Fußballern wie Hidetoshi Nakata und Shinji Ono gelungen, die auch etwas Glamouröses verkörpern, was man in einem emotionalen Land wie Japan – mehr als in Südkorea – unbedingt braucht. Japan hat eine Fußball-Kultur entwickelt, die sich aus Bestandteilen der internationalen Fanszene zusammensetzt: Die Gesänge wurden aus England übernommen, die bengalischen Feuer von den italienischen „Ultras“ importiert und gleichzeitig gibt es mit Trommeln und Tanz auf der Tribüne brasilianische Elemente. Die „J-League“ und ihre Vereine haben sich durchgesetzt, während in Südkorea nur die Nationalmannschaft interessiert und die „K-League“ vor sich hin dümpelt. Regelmäßig gewinnen südkoreanische Vereine die asiatische Champions League, nur interessiert es dort niemanden.

Wenn man auf Reisen geht, sucht man oft etwas. Sind Sie mit Ihrer Enzyklopädie auch auf der Suche nach dem wahren und authentischen Fußball?

Das ist sicherlich ein Bestandteil meines Herzens, und manchmal entdecke ich mich auch bei der Redewendung: „Früher war alles besser.“ Aber Fußballgeschichte ist in Bewegung und entwickelt sich. Diesen romantischen Verklärungsprozess möchte ich nicht mitmachen. Ich kam in den 1970er Jahren zum Fußball, als man sich noch in erster Linie mit den heimischen Klubs identifizierte. Trotzdem bin ich als Historiker dazu verpflichtet, mich nicht von nostalgischen Anwandlungen treiben zu lassen, denn auch die jetzigen Generation wird in zwanzig Jahren gegenüber den jüngeren sagen: „Damals war echt alles besser!“ Was aber für mich bei dieser Reise über die Kontinente deutlich geworden ist, sind zwei Dinge: Erstens unterscheidet sich Fußball in fast jedem Land und diese Differenzen machen die globale Betrachtung erst so spannend. Und Zweitens: Aus dem Mosaik lässt sich wiederum die unwiderrufliche Tatsache folgern, dass Fußball eben der Weltsport ist!

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