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Interview
Bierhoff sieht gefährliche Tendenzen im Fußball

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Interview: Bierhoff sieht gefährliche Tendenzen im Fußball
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Seine Mutter, sagt Oliver Bierhoff (48), würde ihn heute noch aus Essen anrufen und ihm mitteilen, wenn in der Zeitung wieder ein Artikel über ihn erschienen ist.

Welche drei Eigenschaften zeichnen den idealen Nationalspieler aus? Bierhoff: Absoluter Siegeswille. Verantwortungsbewusstsein. Teamfähigkeit.

Warum diese drei? Bierhoff: Ich glaube, auf diesem extrem hohen Niveau, auf dem sich die Nationalmannschaft im internationalen Wettbewerb bewegt, musst du die letzten Prozente immer ausreizen. Da darfst du dich nicht mit weniger als dem Maximum zufrieden geben. Sonst sackst du direkt ab. Die Mannschaft gibt immer auch eine Visitenkarte für unser Land ab, sie repräsentiert Deutschland. 2006 waren wir ein guter Gastgeber für die Welt. 2010 haben wir dann ein neues Deutschland gezeigt. Nämlich mit Spielern mit Migrationshintergrund — die in Deutschland aufgewachsen sind, Deutsch sprechen und sich zu Deutschland bekennen. Die aber auch Wurzeln zur Herkunft und den Ländern ihrer Eltern haben. Das spürt man, und da ist unsere Mannschaft auch ein Spiegelbild der Gesellschaft. Die heutigen Nationalspieler kommen größtenteils aus den Nachwuchsleistungszentren Da wird die gute Jugendarbeit gemacht. Da bist du dann relativ früh umsorgt und hast schon recht früh einen guten Verdienst. Aber wenn du dann nicht diese innere Motivation mitbringst, Dich unbedingt durchsetzen zu wollen, dann ist es schwer, dich da oben durchzusetzen. Talent alleine reicht nicht.

Wenn man die Zusammenfassung richtig versteht, finden Sie es gut, dass Özil sich als Moslem in Mekka mit diesem berühmten Foto positioniert hat? Bierhoff: Warum auch nicht? Wir wollen immer auch die Spieler ermuntern, sich eine eigene Meinung zu bilden und diese zu vertreten. Sie sollen Mut zur Meinung, Mut zu Statements haben. Sie müssen sich aber über die Wirkung bewusst sein und über die Art und Weise, wie sie sie präsentieren. Das gehört für mich zu Verantwortungsbewusstsein. Nicht nur dem Team gegenüber. Als Repräsentant Deutschlands hat man eine Stimme, - dessen sollen sich die Spieler bewusst sein – und das sollen die Spieler bewusst positiv einsetzen. Wir waren ja auch im Vatikan. Für alle Spieler, auch für die, die nicht gläubig sind oder der römisch-katholischen Kirche angehören, war dies ein ganz besonderes Erlebnis. Mesuts Foto war also ein Ausdruck seiner Religiosität, die ich achte und respektiere.

Die Mehrheit in Deutschland fand Özils Aktion in Ordnung. Der freie Glaube steht ja im Grundgesetz. Bierhoff: Bilder sind einprägsam, so denke ich beispielsweise oft an das Bild zurück von Mesut Özil mit Angela Merkel in der Kabine. Ein Bild mit unglaublich viel Symbolkraft. Eine Frau an der Macht, ursprünglich aus Ostdeutschland, zollt einem Moslem, der mit nacktem Oberkörper vor ihr steht, Respekt. Wir sind eine offene, freie Gesellschaft und wir leben Gleichberechtigung. Das Bild verdeutlicht auch, dass die Nationalmannschaft mehr als ein Fußballteam ist.

Olympia zeigte, dass ein Generationswechsel bei den Spielern im vollen Gang ist. Bleibt Deutschland auf Jahre im obersten Level? Bierhoff: Es stimmt, wir haben viele hoffnungsvolle Talente im Nachwuchsbereich, aber bei aller Freude hierüber dürfen wir nicht vergessen, dass sie sich international erst noch bewähren müssen. Und das ist die entscheidende Frage: Wie setzt sich ein Spieler, der national ein gutes Bild abgibt, international gegen einen Messi oder einen Ronaldo durch? Das nämlich ist der Maßstab. Das höchste internationale Level! Wir dürfen uns auf keinen Fall ausruhen. 1990 waren wir Weltmeister und hatten gleichzeitig die Maueröffnung. Dadurch kamen die ostdeutschen Fußballer dazu. Kirsten, Sammer, Doll, Thom und wie sie alle hießen. Damals hat Franz Beckenbauer sich zu dem Satz hinreißen lassen, wir seien jetzt über Jahrzehnte unschlagbar. Das haben wir dann auch geglaubt und uns zehn Jahre lang selbst auf die Schulter geklopft. Bei der EM 2000 sind wir erschrocken aufgewacht. Andere Nationen waren an uns vorbeigezogen. Die Holländer. Die Franzosen. Danach haben wir umgedacht und mit unglaublich hohem Aufwand das Nachwuchs-Konzept in Deutschland überarbeitet. Zehn Jahre später haben wir bei der WM 2010 das erste Mal das Ergebnis gesehen. Da waren die Özils, Höwedes, Boatengs, Neuers, Khediras. Das waren die ersten, die davon profitiert haben. Den Fehler von damals dürfen wir nicht wiederholen. Aber das ist schwer, gerade im Erfolg. Nach der WM in Brasilien sah ich diese Tendenz: Wir sind Weltmeister, haben den 4. Stern, wir können stolz auf das Erreichte sein. Alles war selbstverständlich. Darin liegt die Gefahr. Dass wir Dinge für selbstverständlich nehmen. Dass wir glauben, nichts mehr für den Erfolg tun zu müssen. Doch genau das Gegenteil ist nötig: Wir dürfen nicht nur nicht nachlassen. Wir müssen es besser machen, und wir müssen noch mehr machen.

Was heißt das konkret: besser machen? Es gibt ja keinen Menschen, der sagt: Ich möchte es schlechter machen. Wo setzt man an, dass es nicht so lange dauert? Bierhoff: Wir stellen uns immer die Frage: „Wie können wir uns verbessern?“ Wir wollen den deutschen Fußball besser machen, und das gehört auch eigentlich zu unseren Satzungsaufgaben, den Fußball zu entwickeln. Wir wissen, dass die Zeit für die Arbeit mit den Spielern begrenzt ist. Die wichtigste Ausbildung, die Basisausbildung, passiert in den Vereinen. Da sind die Spieler jeden Tag. Da leisten die Vereine hervorragende Arbeit. Auf den ersten Blick ist unser Beitrag beschränkt. Denn direkt im Einflussbereich des DFB sind die Spieler ja nur, wenn sie in eine Nationalmannschaft berufen werden. Da können wir sozusagen an der Veredelung mitwirken. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Erfahrung eines oder einer 17-Jährigen bei einer U 17-WM beispielsweise in Südamerika für die Persönlichkeitsentwicklung, die Ausprägung des Charakters und die sportliche Entwicklung sehr wichtig ist, vielleicht sogar wichtiger als ein paar Meisterschaftsspiele in der A-Junioren Bundesliga. Die Vereine aber können wir unterstützen mit noch besseren Ausbildungskonzepten, mit noch besser ausgebildeten Trainern und Spezialisten. Und das muss auch unser Auftrag sein: Wir sind zuständig für die Ausbildung der Protagonisten im Fußball. Darum wollen wir uns in der Akademie besonders kümmern. Neben den Schiedsrichtern natürlich auch Trainer besser zu machen, Experten auf allen relevanten Gebieten zu entwickeln und hierüber das ganze System besser zu machen. Wenn ich die Trainer besser ausbilde, wirken diese bei den Bundesligisten und in den Leistungszentren. Die Akademie kann man vielleicht ein bisschen mit einem Formel1-Labor vergleichen: Die Mercedes-Technik der Formel 1 landet idealerweise irgendwann auch in der A- oder C-Klasse.

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