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Der Fußball-Historiker & Globetrotter Hardy Grüne im Gespräch
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Der Fußball-Historiker & Globetrotter Hardy Grüne im Gespräch
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Wenn man Hardy Grüne besuchen will, sollte man entweder gutes Kartenwerk oder ein Navigationssystem an Bord haben. Irgendwo in der Nähe der niedersächsischen Universitätsstadt Göttingen, am Ende aller Autobahnen, fast schon Sachsen-Anhalt. Rasende Bauernsöhne mit tiefer gelegten VW-Polos machen die Landstraßen unsicher. Hardy Grüne, der eine Vielzahl von Standardwerken zur Fußballgeschichte vorgelegt hat und dem die FAZ den Ehrentitel „das Gedächtnis des Fußballs“ verlieh, hat jetzt die Fußball-Welt erforscht. Der erste Band seiner „Weltfußball Enzyklopädie“ ist gerade erschienen. Ralf Piorr sprach mit ihm über „die große runde Welt“.

Der Schriftsteller Ror Wolf schrieb einmal: „Die Welt ist zwar kein Fußball, aber im Fußball findet sich eine ganze Menge Welt“. Jetzt haben Sie als Autor den ersten Band einer „Weltfußball Enzyklopädie“ vorgelegt. Wie viel Welt haben Sie im Fußball gefunden?

Das ist Hardy Grüne:

Hardy Grüne gilt als Institution in Sachen Fußball-Geschichte. Trauernder Fan von Göttingen 05, der Bristol Rovers und vom bretonischen Klub EAG Guinkamp.

Letzte Veröffentlichung: "WM-Enzyklopädie 1930 bis 2010" im AGON-Sportverlag, Kassel.

Es gab immer Überlappungen zwischen beidem: Ich habe überall Welt entdeckt und ich habe überall Fußball entdeckt. Ich habe Regionen erforscht, in denen der Fußball historisch keine Rolle spielt, aber dennoch gegenwärtig präsent ist. Wir müssen uns von dem starren Gedanken an „die eine Welt“ in Teilen unserer Wahrnehmung verabschieden. Die Globalisierung hat viele Gesichter und es gibt viele kleine soziale und auch fußballerische Welten, die ihr Eigenleben pflegen – relativ unabhängig von den globalen Entwicklungen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Nehmen wir die Mongolei. Ich habe mich mit einem Mongolen über die Bedeutung des Fußballs in seinem Land unterhalten, und wir haben dort Verschiebungen festgestellt. Früher spielte der Fußball definitiv keine Rolle, aber seit einigen Jahren entwickeln sich unter den schwierigen geografischen Bedingungen ganz konkrete Anfänge. Und ein Anfang ist ein Anfang.

Fan von „East Bengal Kalkutta“, Indien (Foto: Grüne)

Nun ist die Mongolei ein „exotisches“ Land, wo wahrscheinlich alles anders ist.

Gut, aber auch in Europa gibt es diese Unterschiede. Vergleichen wir Skandinavien und Südeuropa. Schweden hat einen fast sozialdemokratischen Fußball hervorgebracht. Dort hat der Sport traditionell eine starke soziale Komponente, denn über ihn sollte die Kultur und die Gesellschaft gefördert und den Menschen eine Freizeitmöglichkeit geboten werden. Dieser Gedanke hat nicht nur den Breitensport, sondern auch den Spitzensport beeinflusst. Dagegen hat der Fußball in Italien und Spanien eine starke politische Komponente. In Italien wurde der „Calcio“ durch Mussolini und den italienischen Faschismus instrumentalisiert. Die WM 1934 geriet zur Propagandaveranstaltung des „Duce“, und gleichzeitig versuchte er innenpolitisch durch die fußballerische Stärkung des Südens, das klassische Nord-Süd-Gefälle im eigenen Land abzufedern. In Spanien gibt es die Verflechtungen mit den regionalen Identitäten, Katalonien, das Baskenland, Madrid als ungeliebte zentralistische Hauptstadt, und die vorhandenen Nachwehen des Bürgerkrieges der 1930er Jahre. Ohne Kenntnis dieser Dinge kann man den spanischen Fußball in seiner Bedeutung nicht erfassen, auch wenn heute etliches eher zur „Folklore“ geworden ist. „Fußball“ ist also ein gemeinsamer und globaler Nenner, der in fast jedem Land ganz anders ausgeprägt ist.

Spielt Fußball nicht immer auch in eine Art Nationalismus hinein?

In unterschiedlichen Ausprägungen. Das „Wunder von Bern“ 1954 war für das deutsche Wirtschaftswunderland eine wichtige nationale Erfahrung und eine Stärkung des Selbstwertgefühls. In Lettland spielte die erfolgreiche EM-Teilnahme 2004 eine erhebliche Rolle bei der Stärkung der eigenen nationalen Identität des jungen Staates. Oder der Irak. Dort kann man zumindest die Hoffnung haben, dass sich der Gewinn der Asienmeisterschaft 2007 positiv auf die Gesellschaft auswirkt. Immerhin spielten und feierten für einen kurzen Moment alle Bevölkerungsgruppen zusammen, Schiiten, Sunniten und Kurden. Ob es langfristig einen Push-Effekt gegeben hat, gehört zu den spannenden Entwicklungen der Gegenwart. 2007 gab es mit dem Arbil FC erstmals einen Meister aus dem kurdischen Norden. Unter Saddam Hussein wäre dies unmöglich gewesen.

Rudi Völler prägte nach einer 0:0-Schlappe in Island den Leitspruch: „Es gibt keine Exoten mehr!“ Haben Sie noch welche entdeckt?

Das Zitat entstammt eher Völlers Bestreben, die Leistung der eigenen Nationalmannschaft besser darzustellen, als sie wohl auf dem Platz gewesen ist. Die Färöer-Inseln zum Beispiel waren, sind und werden immer Exoten bleiben. Das Land ist zu klein und die Anzahl der Fußballer zu gering, um wirklich eine gute „Elf“ aufbieten zu können. Das Klima ist zu rau, um ballverliebte Maradonas hervorzubringen. Mit dem Auseinanderbrechen der UDSSR und Jugoslawiens setzte Anfang der 1990er eine Schwemme von kleinen Staaten ein, die ihren Platz in der FIFA beanspruchten. In diesem Zuge meldeten auch Andorra und San Marino eine Nationalmannschaft an. Von den Rahmenbedingungen her können diese Teams aber gar nicht „groß“ werden und werden immer Underdogs bleiben. Bei anderen Ländern wie Zypern oder das Fürstentum Liechtenstein spielen Komponenten wie systematische Nachwuchsförderung, ein professionelles Umfeld, Finanziers oder das Vorhandensein einer „goldenen Generation“ eine Rolle. Luxemburg erreichte so 1964 immerhin das Viertelfinale bei den Europameisterschaften und dann ging es bis zum heutigen Tiefpunkt jahrzehntelang bergab. Jedes Land muss also „für sich“ begriffen werden.

Aus dem Dokumentarfilm "The other Final" des Niederländers Johan Kramer. In diesem Film wird das "Finale" um den letzten Platz der FIFA-Weltrangliste doumentiert.

Neben Europa widmen Sie sich dem asiatischen Kontinent. Vereine wie Real Madrid oder Bayern München versuchen bereits, diesen Markt für ihre Merchandisingindustrie zu erobern. Wie wichtig wird Asien für den internationalen Fußball?

Meines Erachtens liegt die Zukunft des globalen Fußballs in Asien, sicherlich eher als in Afrika, wo viele Länder nach wie vor ökonomisch von Weltprozessen abgekoppelt sind. Dagegen werden sich China, Südkorea und Japan auch fußballerisch stabilisieren und weiter entwickeln und der große „schlafende Riese“ des Kontinents, nämlich Indien, ist noch gar nicht erwacht. Allein die Masse der Menschen lässt erahnen, wie viel Potential noch vorhanden ist - in alle Richtungen: als fußballerische Talente, als Zuschauer, als Aktive im Breitensport oder als Konsumenten von Fan-Artikeln. Die kommenden Weltmeisterschaften werden diese Prognosen bestätigen, auch wenn es kein Prozess eines Jahrzehnts sein wird.

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