"Nimm einen Zettel mit", rät der deutsche Nationaltorhüter im Ruhestand vor dem Duell am Samstag (16 Uhr): "Das ist kein Running Gag, sondern eine Notwendigkeit." Lehmann würde am liebsten selbst noch einmal im Tor stehen: "Jeder Fußballspieler will eine WM spielen."
Aber Bundestrainer Joachim Löw hat den 40-Jährigen nicht für die WM nominiert. Und so wird er als Glücksbringer und Sky-Experte in Kapstadt an der Seitenlinie stehen - aber den Zettel mit Tipps zu den argentinischen Elfmeterschützen soll wie vor vier Jahren in Berlin lieber der deutsche Torhüter-Trainer Andreas Köpke schreiben. "Dafür sind die Trainer da", sagt Lehmann und ergänzt: "Ich hoffe, es gibt wieder ein Elfmeterschießen und dann ist meine Geschichte passe."
Diese Hoffnung wird sich freilich nicht erfüllen, denn die entscheidenden Minuten an jenem 30. Juni 2006 im Olympiastadion gehören zu den spannendsten der deutschen Fußballgeschichte. Vor dem Elfmeterschießen gab es als große Geste einen aufmunternden Klaps von seinem Torhüter-Rivalen Oliver Kahn, dann steckte Köpke Lehmann den handgeschriebenen Zettel zu - und der wurde mit seinen Paraden gegen Ayala und Cambiasso zum großen Helden.
Es folgte eine Schlägerei, die Per Mertesacker einen Tritt in den Unterleib und Torsten Frings eine Sperre einbrachte. "Sie kamen singend und tanzend aus dem Bus gestiegen und sind tretend und schlagend vom Platz gegangen", erinnert sich Lehmann an die Argentinier von damals. Er selbst hatte vom Nachspiel nichts mitbekommen: "Ich bin in die Kabine gegangen. Ich wusste nicht genau, was ich nach dem Elfmeterschießen machen sollte."
Lehmann entdeckte den ursprünglich im Stutzen versteckten Zettel und wollte ihn in den Mülleimer schmeißen. Doch dann entschied er sich anders. So blieb das später für eine Million Euro für die Aktion "Ein Herz für Kinder" versteigerte Papier im Museum für Zeitgeschichte der Nachwelt erhalten. Viel gebracht hat das Gekritzel von Köpke damals aber eigentlich nichts. "Bei Ayala bin ich gegen den Zettel gesprungen und Cambiassos Namen habe ich gar nicht gefunden", erinnert sich Lehmann.
Die psycholgische Wirkung war freilich immens - und könnte bei einem erneuten Elfmeterschießen gegen Argentinien in Kapstadt ins Gigantische wachsen. "Die Argentinier haben damals schon von Mystik erzählt. Sie glauben an Dinge von außerhalb. Ich würde den Zettel ins Tor mitnehmen", rät Lehmann. Neben den Tipps seien aber die Fähigkeiten des Torwarts entscheidend: "Man braucht Intuition. Und als Torwart musst du den richtigen Zeitpunkt zum Absprung finden."
In dieser Hinsicht vertraut er Manuel Neuer ganz. "Neuer hat auch schon Elfmeterschießen gewonnen", sagt Lehmann und hält den Keeper von Schalke 04 im Duell gegen den ähnlich unerfahrenen Sergio Romero für chancenreich: "Er muss ja nur besser als der andere Torwart sein." Trotz der Fehler Fehler von Neuer bei den Gegentoren gegen Serbien und England stellt Lehmann seinem jungen Kollegen ein insgesamt gutes Zeugnis aus: "Manuel macht es gut. Er ist mutig. Er muss nur noch lernen eine bessere Startposition zu haben, wenn er rausgeht."
Insgesamt müsse man Bundestrainer Joachim Löw für die gute Leistung seiner Mannschaft loben. Im Vergleich zu 2006 seien die Deutschen im "direkten Spiel in puncto Ballsicherheit und dem direkten Spiel nach vorn besser: Allerdings waren wir damals hinten besser organisiert. Und die Argentinier sind heute noch stärker." Trotzdem sei Mesut Özil derzeit "besser in Form" als der argentinische Superstar Lionel Messi. Und das Wichtigste für die deutsche Mannschaft sei im Rückblick auf 2006, "sich nicht provozieren zu lassen".
Wenn es kein Elfmeterschießen gibt, hofft Lehmann auf einen 1:0-Erfolg der Deutschen, die er zu den Titelkandidaten zählt. Für ihn selbst wird es ein ganz schwerer Moment werden, wenn er am Samstag nur zuschauen kann. "Es ist schwierig für mich, wenn man den Rasen riecht. Ich darf nicht über die Linie treten - das ist komisch", sagt Lehmann: "Ich hab noch keinen Abstand und fühl mich mehr als Spieler." Gerade jetzt, wenn es gegen Argentinien geht.