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Legenden und anderer Schwachsinn

Fanblog: Legenden und anderer Schwachsinn
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Das "umgekehrte Wembleytor" lässt auch den RevierSport-Schalke-Blogger nicht kalt. Von "ausgleichender Gerechtigkeit" für 1966 will er jedoch nichts wissen.

Die 28. Spielminute im gestrigen WM-Achtelfinale zwischen Deutschland und England soll sie also nun gewesen sein, diese angeblich längst überfällige und moralisch höchst anständige Revanche für die vielleicht spektakulärste Fehlentscheidung der Fußballgeschichte; ausgleichende Gerechtigkeit wird so etwas gerne genannt, selbst nach 44 Jahren und der fortgesetzten Peinlichkeit, sich mit Vergangenem nicht angemessen abfinden zu wollen.

Kohle unter unseren Füßen - der Schalke-Fanblog:

Das erste Spiel „seiner“ Schalker hat Thorsten Lueg 1972 in der alten Glückauf-Kampfbahn verfolgen können - und dann auch noch gleich das legendäre Pokalhalbfinale gegen den 1.FC Köln. Seit dieser Zeit hat er fast sämtliche Heimspiele des S04 vor Ort miterlebt. Ein Dauerkartenplatz in der VELTINS-Arena und der Besuch möglichst vieler Auswärtspiele runden die nackten Zahlen seines heutigen Fanlebens ab. Doch seine Vita weist Unstimmigkeiten auf. Im äußersten Nordwesten Dortmunds geboren, nur wenige Kilometer Luftlinie vom Borsigplatz entfernt zur Penne gegangen, das Geld fürs Studium als Taxifahrer auf den nächtlichen Straßen der Westfalenmetropole verdient, ist die verbotene Stadt für den heute in Essen lebenden Revierbürger stets die heimatliche Scholle geblieben - aber auch der beste Grund, mit ganzem Herzen königsblau zu denken und zu träumen. Einen größeren Beweis für seine Liebe zum FC Schalke 04 kann es nicht geben!

Dabei gab es für deutsche Nationalmannschaften zwischenzeitlich Gelegenheiten genug, das Wembley-Trauma im direkten Vergleich mit dem Mutterland des Fußballs vergessen zu machen. Und sie wurden seit 1966 konsequent genutzt: Nie wieder konnte ein englisches Team eine deutsche Mannschaft bei einem großen Turnier besiegen. Nie wieder rangierte England bei einer Weltmeisterschaft in der Endabrechnung vor Deutschland. Ja, uns blieb sogar die Genugtuung, den Gastgeber der Europameisterschaft '96 im Elfmeterschießen an eben jener Stätte zu demütigen, die 30 Jahre zuvor Schauplatz des einzigen und letzten Titelgewinns der „Three Lions“ war. Überdies wurde das alte Wembley-Stadion mit einer Niederlage gegen Deutschland verabschiedet, die neue Arena gleich im ersten Freundschaftsspiel zwischen beiden Ländern ebenso begrüßt. Wer könnte da noch vom Verlangen nach Rache sprechen, das erst gestern schlussendlich befriedigt worden sein soll?

44 Jahre sind eine verdammt lange Zeit. Der Mythos des Wembley-Tores hat sie überlebt. Viel mehr, er wurde zum Symbol für die Dramatik des Fußballspiels. Keine andere Spielsituation ist so häufig zitiert, kein Vergleich so oft gezogen worden. Soll das alles nun sein jähes Ende gefunden haben?

Das Tor von Bloemfontein, das offiziell keines war, wird nicht den Ruhm seines „Vorgängers“ erlangen können. Wie auch? Würden das Spielgerät noch aus Leder und einer mühsam aufgepumpten Schweinsblase und die Torpfosten aus groben Vierkanthölzern bestehen, wäre der Ball gestern ganz sicher nicht erst einen Meter hinter der Torlinie aufgesprungen, um von dort aus im angedeuteten Parabelflug in den Armen Manuel Neuers zu landen.


Die Geschwindigkeit, mit der die Aktionen auf dem Spielfeld heute verlaufen, hat die Wahrnehmung von Schiedsrichtern und Zuschauern zu einer statistischen Größe gemacht. Denn was nicht zweifelsfrei erkennbar ist, wird uns von Fernsehbildern mit Zoom und Zeitlupe anschließend präsentiert. Über das Tor von Bloemfontein braucht also nicht diskutiert zu werden – und schon gar nicht die nächsten 44 Jahre.

Der Legende nach haben wir deutschen Fußballfans fast ein halbes Jahrhundert kollektiv darauf gewartet, dass die grenzenlose Unfähigkeit eines Schiedsrichtergespanns die Geschichte endlich wieder ins Lot bringen würde. Glückwunsch, Deutschland! Glückwunsch zu diesem nationalen Befreiungsschlag! Für mich persönlich ist es jedoch alles andere als das. Für mich ist es undenkbar, die Erinnerung an das einzig wahre Wembley-Tor durch die Skandalentscheidung eines Schiedsrichters zu entehren. Wer trotzdem meint, der Gerechtigkeit sei nun genüge getan, beraubt sich und den Fußball eines einzigartigen Geschenks. Dann hätte „Wembley“ tatsächlich ausgedient.

Schade, dass Traditionen so leicht verkommen können!

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