Im dritten Teil des großen Interviews mit Essens Fußballlehrer sprechen wir mit ihm über die verpasste Aufstiegsrelegation mit Holstein Kiel, seine Zeit in Japan und Volker Finke, mit dem er über 15 Jahre zusammengearbeitet hat.
Karsten Neitzel, wo steht die Regionalliga West im Vergleich zu den anderen? Quervergleiche sind immer schwer. Die Südwest und West-Staffel werden immer am stärksten eingeschätzt, wenn man die Relegationsspiele verfolgt, haben die sich aber auch oft nicht durchsetzen können. Ich glaube, dass die Qualitätsunterschiede sehr gering sind.
Wie finden Sie die Aufstiegsrelegation? Dass es keinen Sinn macht, da sind sich alle einig. Aber das ist auch immer einfach zu sagen aus der Sicht von jemandem, der nicht verantwortlich für die Aufstiegsregelung ist. Klar ist: Es geht nicht, dass ein Meister nicht aufstiegt.
Sie haben als Trainer bereits eine Relegation erlebt. Das habe ich vergessen. (lacht)
Wie geht man denn mit einer verpassten Relegation um? Viktoria Köln hat es vergangenes Jahr beispielsweise auch nicht geschafft. Das ist einfach beschissen. Es kommt natürlich auch darauf an, was die Relegation für einen bedeutet. Für die 2. Liga ist es ein lästiges Zubrot, für uns war es damals geil und so haben wir uns auch gegen 1860 präsentiert. Aber dann spielt auch das Glück eine ganz große Rolle. Manchmal sind es eben Nuancen, um den Erfolg oder Misserfolg in die Bahnen zu lenken. Wenn es in zwei Spielen um den Aufstieg geht, ist das natürlich besonders bitter.
Es gab nie offene Kommunikation, nie redete jemand wie ihm der Schnabel gewachsen ist.
Karsten Neitzel über seine Zeit in Japan
In Ihrer Karriere haben Sie auch in Japan bei den Urawa Red Diamonds gearbeitet. Wie war das? Alle Spieler sind sehr gut ausgebildet auf ihrer Position. Wie auf dem Spielfeld ist dort das komplette Leben total durchorganisiert. Sie sind auf alle Arten Katastrophen vorbereitet und haben für alles einen langen Notfallplan. Insgesamt waren es einfach zwei unfassbar interessante Jahre.
Was haben Sie aus Japan mitnehmen können? Wie Menschen miteinander umgehen. Wenn ein japanischer Kollege mit im Trainerteam saß, hat er nie ein schlechtes Wort über einen japanischen Spieler in dieser Runde gesagt, weil er Angst hatte, dass dieses Wort zum Spieler dringt und dieser die Macht hat, diesen Mitarbeiter zu entfernen. Deswegen gab es nie offene Kommunikation, nie redete jemand wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Auch das Senioritätsprinzip und Ranking spielen da eine Rolle.
Was meinen Sie damit? Ein jüngerer Spieler würde einem älteren nie etwas sagen. Die jungen Spieler siezen die älteren. Da hattest du das Gefühl, dass du gar nicht richtig an die Grenze gehen kannst. Klar, sollte man Demut zeigen gegenüber Spielern, die schon etwas erreicht haben. Das darf aber nicht dazu führen, dass ich als junger Spieler gegenüber älteren gehemmt bin. Ich muss auf dem Platz schon meinen Job machen.
Und das Ranking? Ich bin einmal in der Halbzeit als Co-Trainer zum Schiedsrichter gegangen und wollte wissen, welcher Spieler die Gelbe Karten erhalten hatte. Da zerrte mich unser Dolmetscher zurück und sagte, dass ich sowas nicht machen könnte. Ich müsste zum Spieltagsbeauftragten, der geht zum vierten Mann, der geht zum Schiedsrichter und fragt, wer sie gekriegt hat. Da habe ich damals gesagt, dass bis dahin das Spiel zu Ende ist. Aber diese Kommunikationsketten musstest du einhalten. Alles andere war so, als würdest du demjenigen, der das macht, das nicht zutrauen. Diese Mentalität ist in Teilen mittlerweile sogar bei uns angekommen, aber in Japan ist das brutal ausgeprägt.
Inwiefern hat Sie das für Ihre Arbeit in Deutschland weitergebracht? Die Ansprache an die Spieler, wenn ich mit ihnen Dinge analysiere. Da arbeite ich schon mal lieber in ganz kleinen Gruppen oder einzeln, weil ich glaube, dass das bei den Jungs etwas Negatives auslösen kann, wenn so etwas vor der Gruppe passiert. Mach ich es vor der Gruppe, heißt es, den habe ich auf dem Kieker. Du musst genau überlegen, wen du kritisierst und wen du lobst. In diesem Umgang bin ich sensibler geworden. Das kann noch einmal ein paar Prozente herauskitzeln, dann rennen sie auch für den Alten an der Seitenlinie.
Sie waren in Japan mit Volker Finke, mit dem Sie auch lange Zeit beim SC Freiburg zusammengearbeitet haben. Haben Sie heute noch Kontakt mit ihm? Der Kontakt ist in den letzten Jahren seltener geworden.
Wie sehr hat er Sie beeinflusst? Wir haben von 1994 bis Ende 2010, Anfang 2011 zusammengearbeitet. Dann sind wir aus Japan zurückgekommen. Es ist normal, dass dann ein bisschen was haften bleibt. Er ist für mich ein richtig guter Trainer. Er hat den Spielern viel Mitspracherecht auf dem Platz gegeben. Ich versuche den Jungs auf dem Platz auch viele Freiheiten zu geben, was aber nicht heißt, dass sie tun und lassen können, was sie wollen.