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Domenico Tedesco: "Ich habe mit Schalke gelitten"

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Spartak Moskau ist der „FC Bayern Russlands“, sagt Domenico Tedesco. Was stimmt, denn Spartak ist Rekordmeister. Hat aktuell aber eine ganz junge Mannschaft. Tedesco hat sie vor dem Abstieg gerettet und findet die Aufgabe in Russland „äußerst spannend“.

Domenico Tedesco war beim FC Schalke 04 der Trainer-Überflieger, landete dann unsanft und ging nach Russland zu Spartak Moskau. Das sei aber keine Flucht gewesen, versichert der 34-Jährige im Interview der Deutschen Presse-Agentur, sondern eine durchdachte Entscheidung.

Herr Tedesco, wie waren Ihre ersten neun Monate in Moskau?

Äußerst spannend. Als mein Team und ich begonnen haben, war Spartak Zwölfter mit zwei Punkten Vorsprung auf den Relegationsplatz. Der Start war holprig, und die Corona-Zeit war natürlich auch sehr schwierig. Aber am Ende haben wir das Ziel erreicht, die extrem junge Mannschaft in sichere Gewässer zu führen. Wir haben die Saison als Siebter beendet, zwei Punkte hinter einem Europa-League-Rang und sind im Pokal-Halbfinale unglücklich bei Meister Zenit ausgeschieden. Deshalb sind wir für's Erste zufrieden.

Die Saison in Russland endete erst am 22. Juli und beginnt nun schon wieder am 8. August. Wie funktioniert das?

Auf eine richtige Vorbereitung besteht da natürlich keine Chance. Aber wir hatten drei, vier Wochen vor dem Corona-Neustart, das war dann die Vorbereitung bis Dezember. Die Spieler waren jetzt sieben Tage raus, um den Kopf freizubekommen, wir Trainer fünf.

Es wurde schon angekündigt, dass Ihr Verein im Sommer nicht viele Neuzugänge holen wird.

Ja, das ist so. Aber da es ja sofort und ohne Vorbereitung weitergeht, wäre es sowieso schwer, viele neue Spieler einzubauen.

Spartak ist Rekordmeister, die Ziele sind hoch. Wie ist es möglich, sich im kommenden Jahr deutlich zu verbessern?

Es wird schwierig, aber es ist möglich. Die Top-Vereine haben viele erfahrene Spieler, der Alters-Durchschnitt unserer Startelf lag dagegen häufig um die 23 Jahre. Aber wir haben talentierte Jungs, und die Erfahrung aus dem letzten Jahr wird der Entwicklung helfen.

Fühlen Sie sich bei einem Verein, dessen Ansprüche vor allem aus der Vergangenheit rühren, an Ihre Zeit auf Schalke erinnert?

Große Namen verbunden mit großer Historie erzeugen immer auch hohe Ansprüche. Das macht auch den Reiz aus. Aber man muss auch in die Verpackung reinschauen und die aktuelle Situation und jeweiligen Möglichkeiten beachten.

Man sagt, Sie können schon passabel Russisch und geben schon vereinzelt Interviews.

Ein bisschen Russisch kann ich. Aber ich muss es schon noch verbessern. Zum Glück habe ich einen Simultan-Dolmetscher, der top ist. Ich kann zehn Minuten babbeln, er merkt sich alles.

Ist zwei Jahre nach der WM 2018 noch etwas von der WM-Euphorie in Russland übrig?

AGrundsätzlich ist Russland ein fußballbegeistertes Land. Und bei den Top-Duellen sind die Stadien auch voll und eine super Stimmung. Bei uns im Stadion ist ohnehin immer richtig was los. Aber bei einigen anderen Spielen ist das nicht so. Deswegen weiß ich nicht, wie viel von der WM geblieben ist.

Sie sind offenbar in jedem Fall voll mit dem Herzen dabei, wie man kürzlich gesehen hat.

Sie meinen die Gelb-Rote Karte im Derby gegen Lok? Ich bin immer mit Leib und Seele dabei und fiebere emotional mit. Aber diese Karte war aus meiner Sicht zu hart. Ich habe einmal gesagt „kein Foul“, dann bekam ich Gelb. Dann habe ich noch mal gesagt „kein Foul“, und schon war es Gelb-Rot.

War es damals nach der aufreibenden Zeit auf Schalke ein bewusster Schritt, in eine andere, in Deutschland weniger beachtete Liga zu gehen?

Nein. Ich habe nach der emotionalen Zeit auf Schalke erst mal abgeschaltet und mir keine Gedanken über den nächsten Step gemacht. Es gab einige Anfragen und bei der von Spartak hat es gepasst. Das war auf den ersten Blick nicht naheliegend, aber ich habe mir vor meiner Entscheidung ein paar Tage die Stadt und den Verein angesehen und hatte direkt ein gutes Gefühl. Spartak ist so etwas wie der FC Bayern Russlands, hat 30 Millionen Fans im ganzen Land und eine unheimliche Wucht.

Also war die Entscheidung richtig?

Absolut. Wer kann schon von sich behaupten, den FC Bayern Russlands trainiert zu haben? Die Erfahrungswerte sind unbezahlbar.

Wie blicken Sie inzwischen auf die Schalke-Zeit zurück?

Da war alles drin und alles dran. Zuerst kamen der Erfolg und ein Hype. Dann kam eine schlechte Phase und viel Kritik. Das muss man akzeptieren.

Werden Sie neidisch, wenn Sie sehen, dass der aktuelle Trainer 16 Spiele nicht gewonnen hat und trotzdem bleiben darf?

Nein. Ich habe damals auch sehr viel Kredit bekommen. Manager Christian Heidel hat bis zum Schluss hinter mir gestanden. Ich hatte genug Möglichkeiten auf Schalke, es noch zu drehen. Deshalb empfinde ich keinen Neid. Was ich schade finde, ist die Schwarz-Weiß-Denke, die vielerorts herrscht. Denn auch in der zweiten Saison war nicht alles schlecht. Wir standen beispielsweise in der Champions League im Achtel- und im Pokal im Viertelfinale.

Wie haben Sie, quasi als Schalke-Fan, den Absturz in dieser Rückrunde verfolgt?

Als wir in der Vorbereitung auf den Restart waren, lief die Bundesliga schon. So konnte ich viele Spiele sehen. Und ich habe schon mitgelitten.

Mit Pressechef Thomas Spiegel, Finanzchef Peter Peters und dem Aufsichtsrats-Vorsitzenden Clemens Tönnies sind zuletzt drei Ihrer engsten Mitarbeiter gegangen. Wie haben Sie das verfolgt?

Dass Thomas Spiegel abgesetzt wurde, tat mir extrem leid. Wir haben sehr eng zusammengearbeitet, er ist menschlich und fachlich top und trägt S04 im Herzen. Aber auch mit Peter und Clemens hatte ich ein enges Vertrauens-Verhältnis.

Bei Tönnies war es aber sicher unausweichlich.

Alles, was drumherum passiert ist, möchte und kann ich nicht beurteilen. Dafür war ich in den vergangenen Monaten zu weit weg – im wahrsten Sinne des Wortes. Aber es ist schon seltsam, Clemens nicht mehr in verantwortlicher Position auf Schalke zu sehen.

Ist für Sie eine baldige Rückkehr in die Bundesliga denkbar? Oder streben Sie nach Moskau eher noch mal neue Erfahrungen in anderen Ligen an?

Erst einmal bin ich voll auf Moskau fixiert. Einen Karriere-Plan gibt es nicht. Aber wenn ich in die Bundesliga hätte gehen wollen, wäre ich jetzt dort. Es gab einige konkrete Anfragen in den letzten Monaten, aber ich bin in Moskau und fühle mich hier wohl.

In den letzten Monaten haben Sie dort auch André Schürrle trainiert, der nun mit 29 seinen Rücktritt erklärt hat. War das für Sie absehbar?

Ich hatte nicht die Info, dass er aufhören möchte. Aber es hat sich schon ein wenig abgezeichnet, weil André extrem ehrlich und frei von Eitelkeiten über seine Situation gesprochen hat. André ist ein super Mensch, und es war mir eine große Freude mit ihm zu arbeiten. Wir haben immer noch guten Kontakt.

Als Marcell Jansen mit 29 zurücktrat und Per Mertesacker von Angst-Attacken sprach, gab es gefühlt mehr Spott und Unverständnis. Gibt es in der Szene und unter den Fans inzwischen mehr Verständnis?

Grundsätzlich hoffe ich, dass wir da einen Schritt weiter sind. Wenn ein 29-Jähriger sagt, dass er aufhören möchte, weil er keinen Spaß und kein Feuer mehr hat, muss man Respekt zollen. Es wäre kein Problem gewesen, noch irgendwo einen Vertrag zu unterschreiben. Man kann viel überspielen. Er hat das gar nicht erst versucht. Vor dieser Ehrlichkeit und diesem Mut habe ich Respekt.

Ist der Druck in diesem Geschäft allgemein zu groß?

Man muss sich ein dickes Fell zulegen als Spieler. Und auch als Trainer. Es gibt viele Momente, in denen man stark sein muss. Man wird nach jedem Spiel benotet. Auf der anderen Seite ist es trotzdem ein Traumjob. Wir alle haben mit dem Fußball angefangen, weil er uns riesigen Spaß macht. Das ganze Drumherum gehört dazu. Der eine kann besser damit umgehen, der andere weniger.

Sollte man die Benotungen oder Umfragen wie die zum „Verlierer des Jahres“ abschaffen?

Da muss man drüber stehen, und den Leuten macht es Spaß. Und wenn man es abschafft, wird es etwas Neues geben. Man muss sich einfach ein Werkzeug zulegen, um damit klarzukommen.

Einer, der unter dem vermeintlich größten Druck in München richtig aufblüht, ist Ihr Ex-Spieler Leon Goretzka. Haben Sie dessen Entwicklung erwartet?

Leon ist ein Top-Junge und es freut mich sehr, welche Entwicklung er genommen hat.

Haben Sie ihn nach der Corona-Pause mit all den Muskeln noch erkannt?

Ich habe Vorher-Nachher-Bilder gesehen, das war schon ein großer Unterschied. Aber natürlich habe ich ihn erkannt. Das Lachen war dasselbe.

DOMENICO TEDESCO (34), geboren in Italien und aufgewachsen in Baden-Württemberg, trainierte bereits während des Studiums Jugend-Mannschaften beim VfB Stuttgart. Mit 31 wurde er bei Erzgebirge Aue Cheftrainer und rettete den Zweitligisten vor dem Abstieg. Mit dem FC Schalke 04 wurde er danach überraschend Vize-Meister, wurde aber im März 2019 entlassen. Seit Oktober 2019 trainiert er den russischen Rekordmeister Spartak Moskau. dpa

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