„Schürrle, Schürrle!“, kreischen die beiden Kinder, die das Training von Borussia Dortmund von dem großen Hügel neben dem Trainingsgelände in Dortmund-Brackel verfolgen. Als keiner der schwarz-gelb-gekleideten Herren auf dem Platz reagiert – was maßgeblich damit zu tun haben dürfte, dass kein Spieler dieses Namens auf dem Platz zu finden ist –, schwenken die Fans um. „Reus, Reus!“, kreischen sie nun.
Der reagiert genauso wenig, ist aber immerhin anwesend – eine Nachricht, deren Tragweite an den jungen Zuschauern komplett vorbeizugehen scheint.
143 Tage ist sein letztes Fußballspiel her, seitdem setzten ihn hartnäckige Adduktorenprobleme außer Gefecht. Nun betritt er um 11.24 Uhr als einer der Ersten den Platz, schnappt sich sofort einen Ball, hält ihn einige Male hoch, spielt ihn dann mit den Mannschaftskollegen hin und her. Hier brennt einer darauf, endlich wieder mitzumischen. Zu sehen ist das auch bei den Passübungen und dem Kreisspiel. Immer mittendrin: Marco Reus. Der Rückkehrer bewegt sich flüssig, körperliche Probleme sind nicht zu erkennen. Nur das Abschlussspiel lässt der 27-Jährige aus, macht stattdessen Lauf- und Sprintübungen. Zweikämpfe mag nach dieser langen Pause niemand dem anfälligen Körper zumuten.
Trainer Thomas Tuchel wird ihn langsam und behutsam zurückführen. Das Bundesligaspiel am Freitagabend gegen Hertha BSC Berlin (20.30 Uhr/Sky) kommt zu früh, ebenso wie es wohl die übrigen sechs Partien in den restlichen 20 Tagen sind. Erst nach der Länderspielpause in den ersten beiden Novemberwochen dürfte eine Rückkehr auf den Platz realistisch sein. Tuchel wird keinerlei Risiko eingehen, schon in der vergangenen Saison fasste er seinen wertvollsten Offensivspieler mit Samthandschuhen an, dosierte die Einsatzzeiten zum Schutze des 27-Jährigen sorgsam. Wichtigstes Ziel: „Wir wollen ihn verletzungsfrei durch die Saison bringen.“
Unglückliche Kommunikation
Das gelang – fast. Im Pokalfinale gegen die Bayern musste Reus dann über 120 Minuten durchhalten. Seinen Versuch im schlussendlich verlorenen Elfmeterschießen verwandelte er sicher, danach bremste ihn der eigene Körper aus. Ins Trainingslager der deutschen Nationalmannschaft fuhr er noch mit, wurde dann aber aus dem Kader gestrichen – weil er nur geradeaus laufen konnte. Da erfuhr die Außenwelt erstmals, wie schlimm es um den Nationalspieler wirklich steht.
Auch danach verlief die Kommunikation im Falle Reus nicht immer glücklich: Noch am 9. August beharrte der Klub darauf, dass der Offensivspieler Mitte des Monats ins Mannschaftstraining zurückkehren werde, tat Sätze des Trainers, die anderes aussagten, als Missverständnis ab. Später nannte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke den September als Zielmarke. Doch auch der kam und ging, ohne dass Marco Reus als Fußballer aktiv wurde.
Zuletzt wurde gar kein Datum mehr kommuniziert, zumal die Fragen nach Reus ohnehin leiser wurden: André Schürrle, Ousmane Dembélé, Christian Pulisic und Mario Götze wussten ihn effektiv zu ersetzen, der BVB erzielte 16 Tore in sechs Bundesligaspielen und acht Treffer in zwei Champions-League-Partien. Doch nicht zuletzt, weil ausgerechnet Ersatzmann Schürrle seit Wochen verletzt fehlt, hätte niemand etwas gegen eine schnelle Reus-Rückkehr einzuwenden.