Am 10. November jährt sich der Todestag von Nationaltorwart Robert Enke zum ersten Mal. Im Doppelinterview mit dem Sport-Informations-Dienst (SID) sprechen Martin Kind und Jörg Schmadtke über die "tiefe Trauer", die dieses Drama ausgelöst hat. Der Präsident und der Sportdirektor von Bundesligist Hannover 96 haben aber aufgrund intensiver Betreuung durch Sportpsychologen keine Sorgen, dass nun alte Wunden aufbrechen.
Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf den 10. November 2009 zurück?
Martin Kind: "Ich erinnere mich noch sehr genau an diesen Tag. Ich kam aus Frankfurt und erhielt einen Anruf, dass ich die Polizei anrufen solle. Ich wollte das alles erst gar nicht glauben. Als es Gewissheit wurde, folgten tiefe Trauer und Fassungslosigkeit."
Jörg Schmadtke: "Das ist immer noch sehr emotional. Die Bilder sind noch präsent, wenn man sich diesen Tag ins Gedächtnis ruft. Das war für alle Beteiligten eine sehr intensive Situation, die nicht einfach zu handhaben war. Der Tod eines Kollegen, eines Spielers hat ohne Wenn und Aber dramatische Auswirkungen."
Hannover 96 schien sich danach in einem Schockzustand zu befinden. Befürchten Sie, dass bei den Spielern anlässlich des nun anstehenden Todestages alte Wunden wieder aufbrechen könnten? Schmadtke: "Man kann so etwas nie ausschließen. Aber wir hatten jetzt ein Jahr Zeit, um damit umzugehen, um zu lernen und um zu verstehen. Es scheint so, als hätten wir die Verarbeitung hinter uns."
Kind: "Ich glaube, dass die Mannschaft inzwischen so stark ist, um sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Darüberhinaus hat sich das Bild der Mannschaft durch acht neue Spieler verändert."
Sie haben Ihren Spielern in der vergangenen Saison auch von Sportpsychologen betreuen lassen. Werden Sie dies jetzt wiederholen?
Kind: "Nein. Wir haben darüber sehr umfassend diskutiert. Der Wille der Mannschaft war es, das erstmal nicht fortzusetzen. Wenn jemand aber diese Leistungen in Anspruch nehmen will, steht ihm diese Leistung zur Verfügung."
Inwieweit ist Robert Enke in der täglichen Arbeit bei Hannover 96 noch immer präsent?
Schmadtke: "Robert ist fraglos immer präsent - wenn auch nicht mehr sportlich. Er war ein Stück von Hannover 96 und wird immer zu der Geschichte des Klubs gehören."
Kind: "Es wird immer eine Erinnerung an ihn geben. Diese werden wir pflegen. Trotzdem müssen wir uns den heutigen und zukünftigen Herausforderungen des Bundesliga-Fußballs und des Lebens stellen."
Ist das Geschehene mit einem Jahr Abstand für Sie begreifbarer geworden?
Kind: "Überwiegend herrscht bei mir immer noch Ratlosigkeit. Dieses Krankheitsbild ist schwer zu erfassen. Es gibt immer noch sehr viele Gedanken an Robert Enke. Er war ein unglaublich sympathischer Mensch und der Leistungsträger von Hannover 96. Das hat unser Bild von ihm geprägt."
Schmadtke: "Es ist immer schwierig solche Extremsituationen zu erfassen oder zu begreifen. Robert hat für sich einen Weg gewählt, der aus seiner Sicht der einzig gangbare war. Und alle anderen müssen damit zurecht kommen. Das ist schwierig." Nach dem Tod von Robert Enke wurde von vielen Seiten ein behutsamerer Umgang miteinander gefordert. Hat sich seitdem wirklich etwas verändert?
Kind: "Man kann Bewusstsein schaffen, aber die Veränderungen, die damals angesprochen wurden, werden Jahre oder Jahrzehnte brauchen. Es ist eine naive Vorstellung, wenn man annimmt, dass ein Schalter umgelegt wird und alles verändert sich. Wir haben aber im Hinblick auf die Spieler eine höhere Sensibilität entwickelt, sind sehr viel aufmerksamer geworden und hören in die Mannschaft hinein."
Schmadtke: "So etwas braucht Zeit und eine Bewusstseinsveränderung. Vielleicht gibt es aber etwas mehr Verständnis für bestimmte Dinge und Schwächen. Wenn man Ruhephasen hat, denkt man schon über bestimmte Situationen nach und macht sich Gedanken über die Grundsätzlichkeiten des Geschäfts. Einem wird klar, welche Bedeutung und welche Überhöhung der Fußball manchmal annimmt."