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RS-Special zum Thema Wetten
"Wetten ist in erster Linie Männersache"

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Vor gar nicht allzu langer Zeit schossen sie plötzlich aus der Erde. Viele Leute wunderten sich beim Einkaufsbummel durch die Bochumer Innenstadt: "Dort hat ja schon wieder eine aufgemacht." Die Rede ist von Wettannahmen. Woche für Woche eröffnete eine neue "Tipp-Bude". Die erste bekannte Anlaufstelle für Zocker war die "Wettannahme Jakov Efroni" auf der Brückstraße. Wochenende für Wochenende strömten die Massen in das Ladenlokal und füllten ihre Scheine aus, teilweise erfolgreich, oft auch weniger. Nicht selten hörte man, unterstützt von einem Faustschlag auf den Tisch: "Ein Spiel macht dir immer den Tipp kaputt." Unter der Woche wurden auch nicht selten Pferde- oder Windhund-Rennen auf den zahlreichen Monitoren verfolgt.

Wett – Geschichte(n)

Seit dem es Fußball gibt, wird vermutlich auf den Spielausgang gewettet. Den Sieger vorherzusagen, hat bekanntlich wenig mit Glück zu tun, sondern ist das Ergebnis der reiflichen Analyse des spielerischen Potentials beider Mannschaften und eines blinden Gottvertrauens. Hännes Adamik, Spieler des Bergarbeitervereins SV Sodingen, erzählte einst, welchen riskanten Einsatz die Bergleute in der Nachkriegszeit auf ihren Verein gesetzt hatten. „Damals gab es auf der Zeche ja richtiges Essen für die Kumpel. Morgens, bevor wir angefahren sind, bekam jeder zwei doppelte Butterbrote eingepackt. Und manche waren so fanatisch, da haben die Kumpels unter sich gewettet, haben für die ganze Woche die Kniften verwettet. Dann haben die gegen uns verloren und mussten dann ihre Stullen abgeben, da konnten se ne ganze Woche an der Küche vorbeigehen, Tatsache!“

Nach der Währungsreform organisierte der Westdeutsche Fußballverband ab Januar 1949 Sonntag für Sonntag einen geregelten Fußballtotobetrieb: „Auch Dein Glück durch einen Tipp im Toto-West“ – da konnte kaum jemand widerstehen. Die vielen Derbys der Oberliga West heizten die Wettstimmung zusätzlich an. In den Toto-Blöcken erschienen aber auch Spiele aus der Oberliga Süd („West-Süd-Block“) oder aus England. Einzelspiele konnten grundsätzlich nicht getippt werden.

Sinnbildcharakter: Viele Wettbuden mussten zuletzt dicht machen.

Standards waren der „10er Tipp“ oder die„12er Reihe“. In den Sport- und Tageszeitungen häuften sich unter Rubriken wie der „Toto Wetter-Bericht“ skurrile Zahlenreihen, die Formtrends von Mannschaften bezeichneten oder die vermeintliche Heim- und Auswärtsstärke angaben. Mit dem Aufschwung in den fünfziger Jahren nahm die Wettleidenschaft der Millionen von selbsternannten Fußballexperten ungeahnte Dimensionen an: die Westdeutsche Toto GmbH machte allein zwischen 1949 und 1956 einen Gesamtumsatz von etwa 750 Millionen DM.

Da die Toto-Gesellschaften gemeinnützig organisiert waren, floss ein Teil des Gewinns in den Aufbau von Sportschulen, Vereinsjugendheimen, Schwimmbädern und Fußballplätzen. Aber es gab auch privat-wirtschaftliche Initiativen rund um das „Toto-Fieber“: In der Saison 1954/55 hielt eine Schweizer Erfindung Einzug in die Stadien: der Toto-Mat – keine x-beliebige Resultats-Anzeigentafel, sondern ein eigenes System. In jedem Stadion war der „Toto-Mat“ mit einer Telefonzentrale verbunden, die laufend über den Stand der anderen Totospiele unterrichtet wurde.

Fiel am Aachener Tivoli ein Tor, wurde es wenige Minuten später an der Essener Hafenstraße auf dem Toto-Maten registriert. Der Tipper war also immer im Bilde - jedenfalls dann, wenn er bereit war, einen Groschen für ein Programmheft auszugeben, in dem der Schlüssel für die Spiele auf der Anzeigentafel abgedruckt war. Ihre Reihenfolge unterschied sich nämlich von der auf den Tippscheinen. Über den Verkauf dieser Hefte sollte sich das System finanzieren und zudem noch etwas für die Vereine abwerfen - und es funktionierte. Bald „strahlte“ der Toto-Mat in allen Stadien der Oberliga-West. Ende der fünfziger Jahre brach der Toto-Boom schließlich in sich zusammen.

Andere staatlich gebilligte Glücksspiele wie das im Oktober 1955 eingeführte Zahlenlotto gewannen an Popularität. Heute ist die klassische Toto-Wette fast vergessen, aber das Fußball-Toto ist historisch gesehen „die Mutter aller Wetten“ in der Bundesrepublik.

Ein besonders spektakuläres Kapitel sind Geschichten um Wett-Manipulationen. Der ehemalige Schiedsrichter Robert Hoyzer hat es diesbezüglich zu trauriger Berühmtheit gebracht. Dabei war die „Affäre“ nur die Spitze des Eisberges. Erinnert sei nur an den italienischen Wettskandal 1980, bei dem der damalige Milan-Präsident Felice Colombo und elf Spieler ins Gefängnis mussten. Der AC wurde ebenso wie Lazio Rom in die zweite Liga strafversetzt, während die meisten Spieler, die gegen ihren eigenen Verein gewettet hatten, vor Gericht freigelassen wurden. Manchmal funktionieren Manipulationen auch ganz ohne das Zutun von den direkt Beteiligten.

Ein malaysisches Glücksspielsyndikat ließ Ende der neunziger Jahre bei zwei Premier League-Spielen das Flutlicht kappen, so dass die Spiele abgebrochen werden mussten. Die Betrüger machten sich dabei das Wettreglement zu nutze, dass eine abgebrochene Partie, sofern bereits die 60. Minute überschritten wurde, mit dem bis dahin gültigen Spielstand gewertet wird. Tausende Wetter hatten auf einen Heimsieg des Favoriten gesetzt, aber als das Licht ausging stand es Unentschieden, und das Geld verblieb in den dunklen Kassen der Syndikate. Betrügereien fallen natürlich bei den Spielen in unteren Klassen oder abwegigen Länderligen leichter, da das Auge der Öffentlichkeit diese Partien weniger im Blickpunkt hat.

Außerdem sind die Beteiligten wahrscheinlich eher bereit, ein paar Risikoscheinchen nebenbei zu verdienen, als dass ein gestandener Profi sein sicheres Millioneneinkommen riskieren würde. Dabei ist es eine altbekannte Tatsache, dass viele Fußballer eine gefährlicher Affinität zur „Spielsucht“ haben. Die 1860-München Legende Rudi Brunnenmeier verzockte sein Geld und starb verarmt in einer Sozialwohnung im Münchener Vorort Olching.

Der Ex-Bochumer Hans Walitza versetzte sein ganzes Hab und Gut beim Roulette, bevor er sich auch durch ein stabiles Lebensumfeld fangen konnte. „Ich habe alles gehabt und alles verspielt“, bekennt er freimütig über die Zeiten seiner Sucht. Heute verdient er seinen Lebensunterhalt als Aufsicht in einer … Spielhalle.

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