Noch Minuten nach Abpfiff stand RWE-Sportdirektor Jürgen Lucas auf dem Rasen in Bergisch Gladbach und schaute gedankenversunken in die jubelnde RWE-Menge auf der Haupttribüne. Wie ein Vater, der wohlwollend seinen Sprösslingen auf dem Spielplatz beim Herumtoben zusieht. „Muss auch mal sein“, grinste er, als er sich ertappt fühlte. Gelebtes carpe diem: „Genieße den Augenblick.“
Und der zuletzt oft zu unrecht für seine Einkaufspolitik kritisierte Sportdirektor kann in diesen Tagen wirklich genießen. Auch, dass seine Neuverpflichtungen in dieser Saison allesamt eingeschlagen haben. Und wie! Welche andere Regionalliga-Mannschaft könnte es kompensieren, mit Kevin Freiberger und Marcel Platzek langfristig auf Schlüsselspieler verzichten zu müssen?
Manchmal schimmert noch der alte RWE durch
Der weitere Genuss stellt sich beim Blick auf die Tabelle ein: RWE ist Spitzenreiter und bleibt dies auch, egal, wie die Nachholpartien in dieser Woche auch ausgehen mögen. Ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Im Augenblick fügt sich alles auf wundersame Weise, auch wenn der Erfolgsweg noch fragil ist.
So gesehen in der zweiten Halbzeit beim starken TV Herkenrath, als doch wieder zeitweise der „alte RWE“ durch den frischen Anstrich schimmerte. Da ging es teilweise vogelwild zu in den Abwehrreihen, das Team um Philipp Zeiger schien um den Ausgleich förmlich zu betteln. Gut, dass einer in dieser ganzen wilden Schlacht über einen Ruhepuls verfügt, der anscheinend jenseits der Messbarkeit liegt: Was hatten sich die Kritiker vor der Saison die Mäuler zerrissen, als mit Lukas Raeder der dritte Torwart mit Nummer- Eins-Ansprüchen verpflichtet worden war. Heute ist man schlauer: Marcel Lenz ist immer noch nicht wieder mit seinen Fäusten im Einsatz, von Robin Heller ist als letzter Leistungsnachweis der eher unglückliche Auftritt beim Oberhausener Siegtreffer im Niederrheinpokal-Finale in Erinnerung.
Bleibt Lukas Raeder als Fels in der Brandung. Unspektakulär, ruhig, ohne Effekthascherei sein Auftreten – und immer dabei, wenn es brennt. Mit stoischer Gelassenheit klärte er auch gegen Herkenrath in der kitzeligen Phase manch brenzlige Situation per reaktionsschneller Fußabwehr. Der gebürtige Essener, dessen Karriere in der Vergangenheit nicht gerade geradlinig verlaufen war (Schalke, Bayern München, Setubal, Bradfort City) ist die letzte Konstante im Defensivbereich, wenn sich alles aufzulösen droht.
Raeder ist am liebsten beschäftigungslos
Ist die Coolness eigentlich angeboren? „Als Torwart ist das ein bisschen anders als bei den Spielern. Ich kann nicht rennen und mich in die Zweikämpfe hauen, ich muss dagegen ruhig bleiben und auch Ruhe ausstrahlen“, sieht er seine Hauptaufgabe als letzte Bastion. Sein Einfluss auf seine Vorderleute sei dabei begrenzt: „Die hintere Kette erreiche ich noch mit meinen Anweisungen, aber alles davor ist wegen der lauten Auswärtsunterstützung nicht möglich, zu Hause ist es noch schwerer“, so Raeder über sein verbales Eingreifen. Am liebsten hat er es natürlich, wenn er 90 Minuten schweigen kann. „Als Torwart spielt man immer gerne zu null. Am liebsten ist mir natürlich, wenn ich gar keinen Ball halten muss.“ Am Freitag kommt der Bonner SC vor vermutlich fünfstelliger Kulisse. Da wird es mit den Anweisungen wieder schwierig.
Autor: Ralf Wilhelm