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Der ehemalige BVB-Kapitän Wolfgang Paul im Interview
„Jeden Schritt hart erarbeitet“

Der ehemalige BVB-Kapitän Wolfgang Paul im Interview
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Gemütlich führt die neue A46 in das Sauerland. Es ist Samstagmittag und kaum Verkehr auf den Straßen. Der lange Winter hat auch hier seine Spuren hinterlassen – von dem beliebten Naturgrün ist in diesen Apriltagen noch nicht viel zu sehen. Die Bundesstraße schlängelt sich durch das Ländliche: Meschede, Velmede, Bestwig. Für die Bundesliga-Konferenz auf WDR 2 ist es leider noch zu früh. Irgendwie würde die Stimmung aus den Stadien zu dieser Fahrt passen.

In Nuttlar halte ich kurz an, um eine Handvoll Jugendliche zu beobachten, die auf einer freien Dorfwiese mit einem Plastikball kicken. Einer trägt das obligatorische schwarz-gelbe Trikot des BVB. Damit bin ich beim Thema. Wolfgang Paul, Kapitän der Dortmunder Europapokalmannschaft von 1966, gilt mein Besuch. „Nach der Autobahn immer geradeaus in Richtung Winterberg“, hatte er mir am Telefon den Weg beschrieben, „und dann kommt am Ortseingang Bigge-Olsberg gleich mein Geschäft. Achten Sie einfach auf die rote Dugena-Uhr.“ Pünktlich komme ich an und betrete das kleine Juwelier- und Uhrmacher-Geschäft. In einer Ecke finden sich die Bilder aus vergangenen Fußballer-Tagen: Uwe Seeler, Hans Schäfer, Helmut Schön und Wolfgang Paul selbst. Wolfgang Paul, Olsberg scheint ein wenig abgelegen zu sein. Wie weit ist es denn von hier bis zum Dortmunder Westfalenstadion?

Genau 88,8 Kilometer. Ich sehe auch heute noch jedes Heimspiel des BVB und meine Verbindung zum Verein ist nie abgebrochen. Im Ältestenrat bin ich erster Vorsitzender und arbeite dort mit früheren Spielern zusammen. In den letzten Monaten haben wir zum Beispiel die Satzung komplett überarbeitet. Es sind alles ehrenamtliche Aufgaben, aber Borussia hat mir so viel gegeben, da sind solche Sachen selbstverständlich. Ich bin eben Borusse mit Hacken und Nacken.

Stammen Sie aus dem Sauerland?

Ich bin hier in Bigge geboren und aufgewachsen. Das Fußballspielen habe beim TuS Bigge gelernt. Mit 14 Jahren kickte ich schon in der A-Jugend und kam über die Kreisauswahl Brilon zuerst nach Kaiserau und später zur Sportschule nach Duisburg zur Westfalen-Auswahl, die von Dettmar Cramer trainiert wurde. Ich musste als Fünfzehnjähriger von diesem kleinen Bigge mit dem Zug darunter nach Duisburg zu den Lehrgängen fahren. Das war mit Umsteigen schon eine große Drei-Stunden-Fahrt und ein richtiges Abenteuer. Meine Eltern haben genug Angst gehabt zu der Zeit.

Wirkte der „Kohlenpott“ mit den vielen Menschen und der Industrie nicht befremdlich?

Nun, ich habe mich dem Revier langsam angenähert, deswegen war es nicht so schlimm. Da ich meine Uhrmacherlehre in Haspe machte, kannte ich mich wenigstens schon bis Hagen Hbf aus. Später ging ich so um 1957 als Geselle in das elterliche Geschäft nach Schwerte. So erlebte ich das industrielle Umfeld schon ein wenig, denn auch in Schwerte war es nicht mehr so sauber und idyllisch wie im Sauerland. 1961 bin ich zum BVB gekommen. Natürlich war ich da ein bisschen erschrocken, wie ich mit meinem Heinkel-Roller von Schwerte aus zum Borsigplatz und zum Trainingsgelände im Hoesch-Park fuhr.

War Dortmund ihr Traumklub?

Als ich ein junger Bursche in Bigge war, da gab es für uns alle nur Schalke 04. Aber die Tradition des BVB ist ja vor allem aus der Meister-Mannschaft 1956 und 1957 gewachsen und der Verein hatte damals natürlich schon einen guten Namen. Max Merkel hatte mich nach Dortmund geholt, der aber dann von Hermann Eppenhoff abgelöst wurde. In dieser Zeit wurde ich vom Halbstürmer zum Verteidiger umgeschult. Ich habe mehrere Systeme mitgemacht, dass war also Mittelläufer, Ausputzer, Stopper, Libero. Immer im Zentrum der Abwehr, Organisation, die Verteidiger stellen und verschieben. Das waren neben dem Zweikampf meine Aufgaben. Lange Zeit war Rudi Assauer mein Vorstopper.

Sie haben neben ihre Fußballer-Karriere auch noch einen richtigen Beruf gelernt.

Ja. Wir sind in unserer Familie drei Brüder und drei Schwestern. Dieses Familiengeschäft bestand, und mein ältester Bruder ist Mitte der Fünfziger als Uhrmacher nach Amerika ausgewandert, so dass ich in das elterliche Geschäft gegangen bin. Mein jüngster Bruder wurde Optiker in Arnsberg, also alle im gleichen Metier. Mein Vater hat darauf gepocht, dass ich während der Zeit beim BVB noch meinen Meister machte, damit das Geschäft weitergeführt werden konnte. Also machte ich ein Spagat: Neben zweimal täglich Training absolvierte ich meine Meisterschule als Uhrmacher in Iserlohn. Hermann Eppenhoff drängte immer auf eine Entscheidung: ‚Entweder willste jetzt Uhrmachermeister werden oder bist hier Profi?’ Ihm hat das nicht gepasst, so wurde ich auch eine Zeitlang nicht berücksichtigt.

1966 hat sich dann mit der Erfolgsserie im Europapokal zu dem Jahr Ihrer Karriere entwickelt.

Natürlich. Es klingt heute wie ein Phrase, aber es stimmt wirklich: Für uns war immer der nächste Gegner wichtig. Darüber, das wir Geschichte schreiben und als erste deutsche Vereinsmannschaft einen Europapokal gewinnen konnten, haben wir uns während der ganzen Zeit gar keine Gedanken gemacht. Das kam alles erst später, als die Medien und die Leute danach fragten. Wir haben wirklich nur von Spiel zu Spiel gedacht. Wenn ich überlege, wie wir angefangen haben. Das Pokalfinale 1965 gegen Alemannia Aachen war eine Katastrophe. Wir waren richtig schlecht, gewannen aber trotzdem mit 2:0. Dann auf Malta gegen Floriana La Valetta. Unglaublich, ins Mittelmeer zu reisen und dort auf einem Hartplatz zu spielen, der wie Beton war. Dagegen waren unsere Aschenplätze goldwert. Danach das harte Spiel in Sofia. Es folgte die Wasserschlacht in Atletico Madrid. Solche Spiele, wo es aufs kämpferische angekommen ist, habe ich wirklich geliebt. Deswegen habe ich auch so gerne in England gespielt. Die kamen immer über Außen und jagten die Kugel ständig vors Tor, wo wir standen und mit aller Kraft verteidigten.

Also waren Sie ein richtiger Beißer?

Ja. Ich war nicht das große Talent, dem alles in die Wiege gelegt worden war, sondern habe mir jeden Schritt von Bigge nach Schwerte, von Kaiserau nach Duisburg zur Westfalenauswahl und schließlich in die Stammelf des BVB hart und mühselig erarbeitet – wie viele andere auch. War der Sieg in Glasgow der größte Moment Ihrer Karriere?

Mit Sicherheit war es der größte Moment, aber wahrgenommen haben wir das in der kalten und regnerischen Glasgower Nacht nicht. Mach dem Spiel waren wir einfach nur unheimlich platt: 120 Minuten, ein schwerer Platz und Liverpool hatte enorm viel Druck gemacht. Die Bewusstwerdung über die historische Bedeutung des Sieges kam erst später, vielleicht beim Empfang in Dortmund. Aber dann nicht nur kurzfristig, sondern bis heute im wahrsten Sinne des Wortes anhaltend. Denn ab und zu halten die Leute hier an meinem Geschäft an, lassen sich eine Batterie auswechseln oder irgendetwas und wollen mit mir über die alten legendären Spiele reden. Das macht mich natürlich stolz.

Hatten Sie sich gegen Liverpool überhaupt eine Chance ausgerechnet?

Man geht in kein Spiel, um es zu verlieren. Schließlich standen wir auch im Endspiel. Unser Trainer „Fischken“ Multhaup hat uns psychologisch sehr gut eingestellt. Er war mit diesen Dingen seiner Zeit weit voraus und für uns mit seiner Lebenserfahrung und Ausstrahlung eine Art Vaterfigur. Er hat uns erklärt, wie gut wir eigentlich sind und uns damit das Selbstvertrauen vermittelt, dass wir Liverpool schlagen könnten. Und das wir die Angst vor dem großem Gegner verloren, war ein erster Schritt zum Sieg. Als Krönung sprangen Sie noch auf dem WM-Zug auf. Eine Bestätigung ihrer starken Leistungen?

Auf der einen Seite sicherlich. Andererseits hat Helmut Schön sicher auch geschaut, wen kann er als potentiellen Ersatz mitnehmen. Ich war ein Führungsspieler in Dortmund und man wusste, ich war von der Person her keiner, der Theater macht, wenn der auf der Bank sitzt. Willi Schulz spielte meine Position, und ich hatte keine Chance, aufs Feld zu kommen, außer er hätte sich verletzt oder eine Formkrise gehabt. Es war viel schwerer als heute, in einen feststehenden Kader zu kommen, da noch nicht eingewechselt werden durfte. Heute fragt man mich manchmal: Warum hat er nicht ein Länderspiel gemacht? Denn ich bin ja Vize-Weltmeister ohne ein einziges Länderspiel. Aber so ist es halt gelaufen. Bestätigt wurde ich vor allem durch die Leistung im Verein. Die WM 1966 war für mich trotzdem ein Riesenerlebnis und ich bin bis heute froh, überhaupt dabei gewesen zu sein.

Das Gespräch führte Ralf Piorr.

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