Als die Rot-Weissen zu Saisonbeginn von Sieg zu Sieg eilten und auf einer Welle der Begeisterung surften, da versuchten die Verantwortlichen, den Ball flach zu halten, ohne gleich die Euphorie der Fans zu ersticken. Ja, es sei eine schöne Momentaufnahme, und ja, es sei auch toll, dass der Start prima hingehauen hat. Aber allen musste klar sein, dass die Tabelle so früh in der Saison wenig Aussagekraft besitzt.
Nach elf Spielen, also knapp einem Drittel der Spielzeit, befindet sich RWE in einer kritischen Phase. Im Duell mit dem Spitzenreiter Viktoria Köln an diesem Samstag (14 Uhr, Hafenstraße) müssen drei Punkte her, um denen da oben in der Tabelle noch folgen zu können. Verlieren die Roten, lägen sie 13 Zähler zurück. Eine Menge Holz, zumal die Kölner bislang sehr zuverlässig ihre Ernte eingefahren haben.
Und da ist ja auch noch Borussia Dortmund II, der zweite Liga-Favorit. Das Team vom ehemaligen RWE-Trainer Jan Siewert hat zwei Spiele weniger als die Viktoria absolviert und könnte die Kölner im Idealfall sogar überflügeln. Während sich im Umfeld der Hafenstraße schon wieder Anflüge von Resignation bemerkbar machen, ist die Konkurrenz voll des Lobes über die Rot-Weissen. Viktorias Manager Franz Wunderlich sagt, er sei noch immer von den Essenern überzeugt und habe sie noch nicht abgeschrieben: „Ich hatte Rot-Weiss von Beginn an auf der Rechnung und muss sagen, dass ich bestätigt wurde. Essen hat tollen, offensiven Fußball gespielt.“ Und dann trifft Wunderlich vermutlich den Kern der sportlichen Misere: „Mit den Ausfällen von Pröger und Platzek hat sich die Mannschaft schwer getan. Das ist aber ganz normal. Die beiden Spieler gehören zu den besten Akteuren der Liga. Diese Jungs kann man nicht einfach so ersetzen.“
Die Rot-Weissen haben sich nie beklagt, dabei hat es sie ja noch härter getroffen, denn Kevin Freiberger wird schon gar nicht mehr erwähnt. Der drittligaerfahrene Angreifer, aus Lotte gekommen, sollte ein Leitwolf sein, bildete auch zum Start in Rödinghausen gemeinsam mit Platzek und Pröger den ersten Sturm. 14 Sekunden lang, dann riss er sich das Kreuzband. Torjäger Platzek fehlt auch schon gut zwei Monate, Pröger ist zumindest nach vierwöchiger Rot-Sperre wieder am Ball.
Auch wenn es RWE nie thematisiert hat: Einen solchen Qualitätsverlust kann keine Mannschaft auffangen – auch die Viktoria nicht. Mike Wunderlich, sicher ebenfalls einer der besten Regionalliga-Spieler und ungemein wertvoll für die Kölner, brach sich das Sprunggelenk. Insgesamt fünf hochgehandelte Fußballer fielen gleichzeitig aus. Im Gegensatz zu RWE hat der Vizemeister aber reagiert und noch einmal kräftigst investiert: nicht in Ergänzungsspieler, sondern in Top-Leute aus der Dritten Liga und der Regionalliga. Das I-Tüpfelchen war jedoch der erstligaerfahrene Albert Bunjaku vom Zweitligisten Erzgebirge Aue.
Die Viktoria kann es sich leisten. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Kölner schon in den vergangenen Jahren nominell immer mit das beste (teuerste) Personal der Liga hatten. Der Status Liga-Favorit kommt nicht von ungefähr. „Insgesamt kompensieren wird die Ausfälle ganz gut“, sagt Kölns Trainer Patrick Glöckner. „Ich kann auf viel Qualität zurückgreifen. Wenn alle wieder da sind, werde ich ein Luxusproblem haben.“ Und der Klub natürlich auch höhere Kosten.
RWE-Trainer Karsten Neitzel und Sportdirektor Jürgen Lucas reagierten nicht auf den Engpass, womit sie sich auch Kritik einhandeln. Doch schon während der Vorbereitung war zu erkennen, dass der Euro bei den Roten nicht so locker sitzt, wie manche meinen. Man legte viel Wert auf variable Spieler, auch um Personal zu sparen. Neitzel betonte stets, er vertraue seinem Team und argumentierte außerdem damit, dass niemand auf dem Markt gewesen sei, der sofort weitergeholfen hätte. Ob die Qualität jedoch für die Spitzengruppe der Liga reicht? Genau das gilt es gegen Köln zu beantworten.
Autor: Rolf Hantel