Streng genommen hat sich Jürgen Kohler verschlechtert. Mit seinem Wechsel von der A-Jugend des Grafschafter SV zum U19-Bundesligisten Bonner SC hat er zwar drei Klassen übersprungen, muss aber auch zehn Minuten mehr Fahrtzeit in Kauf nehmen. Der Weltmeister von 1990 ist jetzt eine Viertelstunde zum Training unterwegs. Und viel weiter würde er für den Fußball auch nicht mehr fahren, wie er im Interview verrät.
Jürgen Kohler, wer war vor dem ersten Training aufgeregt: Sie oder Ihre neuen Spieler?
Niemand. Die Freude hat auf beiden Seiten überwogen. Ich habe den Jungs auch direkt das Du angeboten. Gerade bei jungen Menschen ist es doch wichtig, eine persönliche Beziehung aufzubauen.
Kommen Sie in Bonn dem großen Fußball wieder ein Stückchen näher?
Mir ist es eigentlich egal, wo ich trainiere. Die Hauptsache ist, dass ich dabei Spaß habe. In meinen zweieinhalb Jahren mit der A-Jugend des Grafschafter SV bin ich zweimal aufgestiegen. Die liegen nur noch drei Klassen unter der Bundesliga. Das ist für so einen kleinen Verein eine Mordssache.
Ist Ihnen der Spaß am Fußball bei Ihrer letzten größeren Station in Aalen zwischenzeitlich abhanden gekommen?
Es wird immer gesagt, ich sei mit dem Verein abgestiegen, dabei war es ein anderer. Es wird immer Kritiker geben. Aber die haben mit mir ein Problem, nicht ich mit ihnen. Aus gesundheitlichen Gründen mussten Sie damals das Traineramt abgeben und zum Sportdirektor umschulen.
Ich habe gemerkt, dass etwas nicht in Ordnung war, und bin zum Arzt gegangen. Ich hatte Herzrhythmusstörungen und brauchte eine Pause. Jetzt muss ich noch einmal im Jahr zu den Untersuchungen. Aber ich bin wieder voll genesen, weil ich zum damaligen Zeitpunkt das Richtige getan habe. Andere hatten schon einen Herzinfarkt und trainieren jetzt in der Bundesliga. Das wäre nichts für mich.
War das der Punkt, an dem Sie festgestellt haben, dass es wichtigere Dinge als Fußball gibt?
Mit Sicherheit. Ich hatte das Glück, eine tolle Zeit im Fußball haben zu dürfen. Aber er ist für mich nicht mehr alles. Ich bin jetzt zufrieden mit dem, was ich tue.
Warum haben Sie sich für die Aufgabe Bonn entschieden?
Sie passt im Augenblick gut zu mir. Meine Spieler kommen fünf Mal in der Woche zum Training, teilweise sind sie anderthalb Stunden mit dem Zug unterwegs. Sie kriegen null Euro dafür, aber sie machen das, weil sie gerne Fußball spielen. Das finde ich bewundernswert. Ich möchte die Jungs nicht nur als Fußballer, sondern auch als Persönlichkeiten entwickeln. Das ist mindestens genauso wichtig.
Ist Bonn für Sie ein Zwischenschritt zurück in den Profifußball?
Nein, überhaupt nicht. Ich hatte Angebote, aber die Bundesliga ist nicht mein Lebensziel. Mir reichen meine Familie und meine Freunde. Für mich ist es entscheidend, ein Leben zu führen, mit dem ich zufrieden bin.