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Ortstermin: Inter Bochum - ETuS/DJK Schwerte 0:27
"Irgendwie sind wir alle ein bisschen verrückt"

Ortstermin: Inter Bochum - ETuS/DJK Schwerte 0:27
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Während der Fahrt nicht mit dem Busfahrer sprechen! So viel ist mal klar. Doch wie verhält es sich eigentlich mit Fußballspielern? Tobias Adomeit gehört immerhin weiß Gott nicht zu den Teilzeitbeschäftigten seiner Zunft. Der Job im Tor von Inter Bochum ist nun mal keine halbe Stelle. Für alle, die noch nichts von den wöchentlichen Altenbochumer Fußball-Kuriosa mitbekommen haben: Die Tabelle bescheinigt dem Bezirksligisten nach fünf Saisonspielen ein Torverhältnis von 0:154 – da sollte für Smalltalk eigentlich kein Spielraum bleiben.

Dennoch ist er sich nicht zu schade, auch während der Partie gegen den ETuS/DJK Schwerte fleißig Fragen zu beantworten –an Fragenstellern mangelt es schließlich nicht. Selbst der WDR ist mittlerweile auf die Minus-Meister aus Bochum aufmerksam geworden und will Mitte der zweiten Hälfte, wohl nicht ganz frei von Häme, wissen, wie es denn stehe. „Ich würde sagen so 0:16?“, zuckt Adomeit, lässig an den Pfosten gelehnt, mit den Schultern. Es läuft gerade einer der seltenen Entlastungs-„Angriffe“ der Hausherren. „Nicht ganz, 19:0“ antwortet der juvenile, basebekappte Nachwuchs-Reporter hinter der Kamera. Adomeit: „Ehrlich?

Inter-Keeper Tobias Adomeit steht auch während des Spiels für Repoter-Fragen zur Verfügung.

Aber wir versuchen auf jeden Fall, es unter 20 zu halten.“ In dem Moment rollt aber längst die nächste Schwerte Angriffs-Welle, der Keeper muss das Interview, wenigstens pro forma, kurz unterbrechen – und zum 20. Mal an diesem Tag den Ball aus dem Netz fischen, kehrt aber natürlich umgehend zurück an die Seitenlinie: „Naja, jetzt war ich auch ein bisschen abgelenkt.“

Eigentlich macht der schmächtige Schlussmann aber auch sonst so gar keine allzu gute Keeper-Figur. Ohne Fußball-Schuhe dürfte er gerade mal an die 1,80 Meter heranreichen. Die Erklärung: Adomeit ist Schlussmann wider Willen, eigentlich als etatmäßiger Vorstopper im Konzept des Bezirksligisten eingeteilt. Doch der 26-Jährige wurde zum Torwart wie die Jungfrau zur Mutter: seine Verdienste wurden ihm zum Verhängnis. Vor zwei Wochen, im Heimspiel gegen den FSV Witten, hat sein Vater und Inter-Trainer Lothar Adomeit, ihm den wohl undankbarsten Fußballer-Job des Ruhrgebiets, vielleicht sogar ganz Deutschlands, aufs Auge gedrückt.

Nach einer Halbzeit hatte er den Posten dann sicher, denn: „der andere Torwart ist nicht ganz so gut.“ Dabei hätte der Trainer-Spross es eigentlich gar nicht nötig, sich in die Niederungen (oder Abgründe?) des Revier-Fußballs zu begeben. „In der Jugend“, erinnert sich der unerschütterlich gutgelaunte Keeper, „habe ich mit den Altintop-Brüdern bei TuS Rotthausen gespielt.“ Aha. „Danach war ich ein bisschen faul, wäre ich aber dran geblieben, könnte ich jetzt auch in der Bundesliga spielen.“

Die Einsicht ist ja da...

Irgendwie hat bei Inter alles etwas von Slapstick. Schwertes Coach Detlev Brockhaus konnte sich daher eine gewisse Süffisanz nicht verkneifen: „Alleine schon wie die Linien hier gezogen sind: Wer das gemacht hat, hat das Wort Fußball noch nie geschrieben. Die sind alle lieb und nett, machen einen guten Döner und der Kaffee schmeckt auch, aber Fußball?“ Tatsächlich, im sportlichen Bereich hakt es überdeutlich. Schon angefangen beim Rasenplatz samt Schlangenlinien, in dessen Unebenheiten die Akteure aus mancher Perspektive mit dem halben Unterschenkel zu versinken scheinen.

Trotz des eigenwilligen Geläufs war von Heimvorteil höchstens ganze drei Minuten etwas zu erahnen. So lange konnte sich die Schießbude des Reviers schadlos halten, danach nahm aber wieder alles seinen nur allzu bekannten Lauf. „Wie kann der denn da so frei stehen?“, schimpfte Trainer Admomeit nach dem 0:1. Dabei – seien wir ehrlich –hat es sich irgendwie angedeutet. Beim Großteil der rund 150 Zuschauer, die sich trotz bedrohlich dunklen Himmels auf dem Rasenplatz unmittelbar neben der A40 eingefunden haben, sorgt die Echauffage des stattlichen Übungsleiters daher in erster Linie für Erheiterung. Er wirkt so realitätsfern wie der verschollene Soldat, dem man sich nicht wagt, die Nachricht vom Kriegsende zu übermitteln. So ist er auch zur Halbzeitpause (0:12) noch überzeugt: „Mensch Jungs, ich bin richtig stolz auf euch. Wir schießen mit Sicherheit noch das ein oder andere Tor. Das macht teilweise richtig Freude, euch zuzugucken.“

Das sieht das Publikum genau so – und doch völlig anders. Ein Streifblick über die anwesenden Elendstouristen offenbart die bizarr-prekäre Situation des Clubs: Fußballer der Nachbarvereine stehen kopfschüttelnd daneben, wenn Abwehrspieler im Fünfmeter-Raum Bälle ohne Not vor die Füße des Gegenspielers stubsen. Wenn Adomeit jun. einen Abschlag mit Mühe in die Nähe der Mittellinie bugsiert und sich dabei auf den Hosenboden setzt, drehen sich Spielerfreundinnen gibbelnd weg, andere überlegen prompt, sich kurzfristig als Verstärkung anzumelden. Die Startelf traut sich hier jeder zu.

Zu allem Überfluss kassierten die Hausherren auch noch einen Platzverweis.

Im Endeffekt hat der Zufluss an der Seitenlinie aber auch sein Gutes, spült er doch den ein oder anderen Euro in die klammen Kassen. Scheitern als Chance. Und wer kann schon von sich behaupten, ein Bezirksliga-Match von der Seitenlinie mit Knopfmikrofon am Revers zu coachen. Zwar habe Adomeit „eher ein Gesicht für’s Radio“, wie ein Kollege der schreibenden Zunft etwas zynisch bemerkte, genoss den Presserummel aber ganz offensichtlich und ließ sich bereitwillig verkabeln und über die Schulter filmen. Genauso wie sein Filius, der sich auch im zweiten Durchgang streckenweise redlich müht, am Ende aber doch wieder 27 Stück fängt, immerhin das „zweitbeste“ Resultat der jungen Saison.

In derart schweren Zeiten wird aber auch unter dem Medien-Coach knallhart nach dem Leistungsprinzip gearbeitet. Da bleiben Härtefälle nicht aus, auch wenn schlussendlich nur noch ein Akteur übrig blieb, den die Verbannung auf die Bank von Inter Bochum hinnehmen ereilte – hier muss es liegen, das fußballerische Sibirien. Da es dort aber nun mal einigermaßen kalt ist, streifte sich der einsame Reservist rund 20 Minuten vor Spielende wieder die Straßenklamotten über. Als der Trainer der eigenmächtigen Maßnahme des Kickers gewahr wurde, trieb es ihm die Wutröte ins Gesicht: „Das darf ja wohl nicht wahr sein“, schnaubte der Pfundskerl. „Wen soll ich denn jetzt einwechseln?“ Umgehend beschied er ihm, die Fußball-Garnitur wieder anzulegen: „aber zack, zack!“

Vater und Sohn, vereint in der Niederlage.

Schließlich stach aber auch der letzte Trumpf nicht mehr, nach 90 Minuten und diesmal „nur“ 27 Gegentoren pustete der Trainer kräftig durch: „Puh, Feierabend!“ Ans Aufhören, den Rückzug aus der Bezirksliga, will bei den „Internationalen“ aber trotz der zirkusreifen Auftritte niemand denken. Bescheidenheit ist bei Inter nicht gefragt, böse Zungen sprechen gar von Dünkel, schließlich sind sich alle sicher: Spätestens in der Rückrunde geht es richtig los. „Und dann werden die uns nicht mehr so unterschätzen“, behaupten Vater und Sohn im Brustton der Überzeugung. Wobei der Junior es dann vielleicht noch am ehesten auf den Punkt bringt: „Es gibt keinen Fußballclub wie uns, wir lachen direkt nach dem Spiel schon wieder. Irgendwie sind wir alle ein bisschen verrückt.“

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