Wenn Joachim Streich die "Liga des Westens" im Fernsehen verfolgt, überkommt ihn gerade in diesen Tagen Wehmut. Dass ausgerechnet 20 Jahre nach der Wiedervereinigung kein Klub aus dem Osten in der Bundesliga spielt, lässt den Rekordspieler und -Torschützen der DDR-Auswahl alles andere als kalt.
"Da blutet mir das Herz, denn ich bin mit den Klubs groß geworden, die heute zum Teil in der Versenkung verschwunden sind. Wenn ich mir die Sportschau angucke, dann fehlt mir schon etwas. Es ist traurig, dass der Osten in der Bundesliga momentan ein weißer Fleck ist", sagte Streich im Interview mit dem Sport-Informations-Dienst (SID).
Nur Energie Cottbus im Profifußball
Von den 14 Mannschaften der letzten DDR-Oberligasaison 1990/91 hat sich einzig Zweitligist Energie Cottbus in der 2. Liga gehalten. Zwar schafften mittlerweile auch Union Berlin und Erzgebirge Aue den Sprung ins Unterhaus, doch das ändert wenig am düsteren Gesamtbild. Vereine wie Lokomotive Leipzig oder BFC Dynamo Berlin dümpeln im Niemandsland. Oftmals sorgen die Klubs nur wegen ihrer Finanzprobleme oder Hooligans für Schlagzeilen.
Doch ständig nur die wirtschaftlich schwierigen Bedingungen in der Region als Grund anzuführen, sei zu einfach, sagte Streich. Die Abstürze seien meist hausgemacht: "Bei den Ostklubs haben die Verantwortlichen viele Fehler gemacht. Was zum Beispiel zuletzt bei Hansa Rostock zuletzt abgelaufen ist, war unglaublich."
Ähnlich sieht es Volker Oppitz, der als Geschäftsführer von Dynamo Dresden die Versäumnisse der Vergangenheit ausbaden muss. "Wir leben noch immer mit Altlasten, die uns andere Leute eingebrockt haben", sagte Oppitz. Dies gelte für viele ostdeutsche Vereine, die kurz nach der Wende von dubiosen Geldgebern mit leeren Versprechen übernommen wurden. "Da waren Leute am Werk, die dafür nicht geeignet waren, und die haben oft Schindluder getrieben."
Ostdeutsche Menatlität für Misere verantwortlich
Streichs ehemaliger Teamkollege beim früheren Europapokalsieger 1. FC Magdeburg, Jürgen Sparwasser, macht dagegen die ostdeutsche Mentalität für die Misere mitverantwortlich. Die Fußballer hätten auch 20 Jahre nach der Wende von den Westkollegen nicht gelernt, die Ellenbogen auszufahren.
"Die haben jetzt zwar Bananen, können nach Spanien fahren, haben die Reisefreiheit. Aber sie haben im jugendlichen Alter kein Durchsetzungsvermögen", sagte der Siegtorschütze des WM-Spiels 1974 in Hamburg gegen den "großen Bruder" BRD (1:0). Die Hoffnung, dass irgendwann einmal ein deutscher Fußball-Meister aus dem Osten kommt, hat Sparwasser längst aufgegeben: "Das werden wir nicht mehr erleben."
RB Leipzig hat ein Imageproblem
Wenn es überhaupt einem Verein zuzutrauen ist, dann vielleicht RB Leipzig. Der von einem österreichischen Getränkehersteller (Red Bull) gesponserte Regionalligist überflügelt einen Ost-Traditionsklub nach dem anderen und will langfristig die Spitze der Bundesliga angreifen. Doch der "Retorten-Klub" hat im Fußball-Osten ein Imageproblem.
"Ich finde, dass das eine gute Sache ist", sagt jedoch Streich. Die Region lechze nach professionellem Fußball, den ihm die etablierten Vereine nicht bieten können, erklärte der 102-malige Auswahlspieler (55 Tore): "Die anderen hatten ihre Chance, als sie nach der letzten DDR-Oberligasaison Startplätze in der ersten und zweiten Liga bekamen. Aber aus dieser Chance haben sie nicht viel gemacht."