Nein, furchteinflößend wirkt dieser „blaue Drachen“, so die deutsche Übersetzung seines Namens, beileibe nicht, eher so, wie man das von den allermeisten Asiaten hierzulande gewohnt ist: freundlich, entgegenkommend und respektvoll. Außerdem ist Chung-yong Lee derzeit außerordentlich gut gelaunt. Fünfmal in Folge hat er nun ein komplettes Spiel bestreiten dürfen, das ist ihm in den vergangenen drei Jahren in der englischen Premier League nicht einmal gelungen. „Etwas müde, aber glücklich“, sagt der 30-Jährige lächelnd, sei er zurzeit. Verständlich.
Aus Südkorea über England nach Bochum
Lee ist kein heuriger Hase. 79 Spiele hat der technisch gut ausgebildete Mittelfeldmann für Südkorea bestritten, hat auch an den Weltmeisterschaften 2010 und 2014 teilgenommen. Zu dieser Zeit war er bereits nach England übersiedelt, spielte zunächst für die Bolton Wanderers, dann für den Londoner Klub Crystal Palace. Nun also Deutschland, nun also VfL Bochum. Den Klub kannte er zwar, weil ja einst auch Yoo-Sung Kim und Chong Tese hier gespielt hatten. Wo Bochum genau liegt, war ihm allerdings bis vor kurzem unbekannt.
Bis die Offerte des VfL kam. In Bochum hatte man Wind davon bekommen, dass Lee auf dem Markt sei, weil seine Arbeitserlaubnis nicht mehr verlängert worden war. Die Möglichkeit, einen für die Verlängerung erforderlichen Einbürgerungstest zu machen, hat er nicht wahrgenommen. Für den 30-Jährigen angesichts seiner chronisch geringen Spielanteile in der Premier League kein Drama, für den VfL, wie es sich momentan darstellt, ein Glücksfall. In Deutschland, sagt der ehemalige Nationalspieler, habe er ohnehin mal spielen wollen.
Dass er sich wohl fühlt in Bochum, merkt man dem „blauen Drachen“, der ja in Wirklichkeit eher ein schmales Hemd ist, an. Auch der Familie, also seiner Frau und der knapp dreijährigen Tochter, „gefällt es hier“, sagt der Mann, dessen Karriere einst beim FC Seoul begann. Die Integration ist für die Lees überhaupt kein Problem. „Das Leben in England ähnelt dem Leben in Deutschland“, sagt er, „da gibt es keinen großen Unterschied“. Und wie sieht es, den Fußball betreffend, aus? „In England spielen hochklassige Spieler aus der ganzen Welt, da geht es mehr um individuelle Klasse als um Taktik“, sagt Lee. In der zweiten deutschen Liga, hat er den Eindruck gewonnen, gehe es dagegen mehr um „Geschlossenheit“ und „Kompaktheit“. Allerdings höre es in England mit der internationalen Klasse nach den führenden sechs, sieben Klubs auch schon wieder auf. Der Rest bewege sich eher auf Championship-Niveau.
Verlängerung in Bochum denkbar
Wenn Chung-yong Lee mal spielen durfte auf der Insel, dann vorwiegend auf dem Flügel, in Bochum nimmt er nun zumeist die zentrale Mittelfeldposition ein, weicht aber auch oft auf die Flügel aus. Diese Flexibilität gefällt ihm, der permanente Rollentausch erfordert allerdings auch ein hohes Laufpensum. Lee nimmt das nach einer „schwierigen Zeit in England“ in Kauf. Spielen will er, und spielen darf er. Da gibt es nichts, aber auch gar nichts zu meckern. Er sei „glücklich“, wieder spielen zu können, auch wenn er „noch nicht bei 100 Prozent“ sei. Es klingt fast wie ein Versprechen.
Sieben Punktspiele hat der 30-Jährige bislang erst absolviert für den VfL, da wirkt die Frage nach der kommenden Spielzeit vielleicht ein bisschen verfrüht. Aber der Mittelfeldspieler mauert auch in diesem Fall nicht. Er könne sich durchaus vorstellen, länger in Bochum zu bleiben, sagt er. Der VfL habe, so heißt es, die Option den Vertrag über 2019 hinaus zu verlängern, hat also den Zugriff.
Vielleicht gehört Lee ja zu den Akteuren, mit denen man bereits in den Wintermonaten einig wird. Schließlich laufen im kommenden Sommer nicht weniger als 14 Spielerverträge aus.
Autor: Michael Eckardt