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Schalke: Trotz modernster Wissenschaft gilt für Professor Freiwald das Herberger-Prinzip
Fünf Prozent mehr für den Titel

Schalke: Trotz modernster Wissenschaft gilt für Professor Freiwald das Herberger-Prinzip
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Einen sogenannten Professor hatte Schalke mit dem aktuellen Hoffenheim-Coach Ralf Rangnick zuletzt als Trainer, doch seit einigen Monaten ist ein echter „Prof“ bei den Königsblauen am Werk: Bewegungswissenschaftler Jürgen Freiwald von der Bergischen Universität Wuppertal berät die Königsblauen als Koordinator für Leistungsdiagnostik, Konditionstraining und Reintegration verletzter Spieler. Obwohl kein Mathematiker, erläutert der 49-Jährige Im Interview mit RevierSport ein paar interessante Rechenexempel.

Professor Freiwald, die Schalker Mannschaft hat die erste Trainingswoche hinter sich. Zur intensiven Vorbereitung gehörten auch die leistungsdiagnostischen Tests, die Sie mit Ihrem zwölfköpfigen Team am Dienstag durchführten. Wie wissenschaftlich geht es auf Schalke inzwischen zu?

Schalke macht sicher keine wissenschaftliche Labors auf, sondern nutzt die vorhandenen Einrichtungen in der Uni Wuppertal und im medic.os. Insgesamt ist die Entwicklung in Deutschland bei allen Vereinen ähnlich und Klubs mit besseren finanziellen Möglichkeiten können eben etwas mehr machen. In Schalke sind diese Bedingungen optimal, sowohl von dem Personal als auch von der Infrastruktur mit dem medic.os.

Mirko Slomka und Jürgen Freiwald.

Wie wichtig war Jürgen Klinsmann für diese Entwicklung? Klinsmann hat ja nicht gezaubert, sondern das gemacht, was auf Schalke schon seit Jahren praktiziert wurde. Nur hat die Öffentlichkeit dem nicht diese Beachtung geschenkt wie sie das im Fall Klinsmann getan hat. Heute ist das unkompliziert, dass ein leibhaftiger Professor mit Fußball in Verbindung kommt. Im Trainerstab sind auf Schalke ohnehin eine Menge Fachleute mit einem akademischen Abschluss am Werk. Es zeugt aber von Mirko Slomkas Größe und Charakter zu zeigen: Ich kann eine Fußball-Mannschaft trainieren, aber auf bestimmten Teilgebieten meiner Arbeit ziehe ich weitere Experten hinzu. Eine weitergehende Individualisierung im Training ist wichtig, aber der Chef-Trainer bleibt der Chef. Ich stelle ihm und seinem Stab lediglich Daten zur Verfügung, aber auf dem Platz gilt immer noch das alte Sepp-Herberger-Prinzip. Da werden die Tore geschossen, so war es schon immer und so wird es auch bleiben.

In dem Bereich, in dem Sie tätig sind, gilt das Milan-Lab als weltweit führend? Eifert Schalke dem AC Mailand nach?

Nein! Ich war vor zwei, drei Jahren in Mailand und habe mir das angeschaut. Diese Einrichtung wird in der Presse oft sehr einseitig dargestellt. Sie wird von zwei nicht studierten Physiotherapeuten geleitet, die jetzt einen auf Wissenschaft machen. Sie führen zum Beispiel Hautwiderstandstests auf Stress durch, das halte ich für Blödsinn.

Wie viel Prozent Leistung oder Erfolg kann Ihre Arbeit ausmachen?

Das kann man schlecht messen. Aber im Kader nur einen verletzten Spieler weniger zu haben oder die Voraussetzungen zu schaffen, dass ein anderer in einer Situation einen Tick schneller ist, das ist möglich. Da ich oft mit dieser Frage konfrontiert werde, habe ich das mal so kalkuliert: Wir bewegen uns in der Bundesliga auf höchster sportlicher Ebene, da wären fünf Prozent eine ganze Menge. Wenn du für die Meisterschaft 70 Punkte brauchst, dann wären das drei bis vier Punkte mehr oder weniger. Eine solche Differenz kann den Unterschied zwischen dem Titel oder eben nur Platz vier bedeuten.

Neben der Leistungsdiagnostik ist die Reintegration verletzter Spieler eines Ihrer Aufgabenfelder. Eine These dafür, warum es wieder nicht zur Meisterschaft gereicht hat, ist der Ausfall wichtiger Leute wie Peter Lövenkrands in der Schlussphase der Saison. Wie können Sie diese Misere beheben?

Verletzungen wie die von Lövenkrands, der ohne Einwirkung eines Gegners im Rasen hängen geblieben ist, sind einfach ein Unglück. Das kann man durch kein Trainingsprogramm verhindern. Was man machen kann, ist die Reintegration noch systematischer zu betreiben. In diesem Bereich hat Schalke mit Christos Papadopoulos den besten Fachmann in Deutschland und ich unterstütze ihn in seiner Arbeit. Es gibt Statistiken von der Fifa, die einiges über die Vorhersehbarkeit von Verletzungen aussagen: Ein junger, gesunder Spieler unter 25 Jahren, der noch nie verletzt war, bei dem beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass er sich verletzt, 17,5 Prozent. Bei einem Spieler, der über 25 bis 30 Jahre alt ist und bis zu fünf Mal verletzt war, sind es schon 26 Prozent und bei einem über 30-Jährigen, der schon über fünf Mal verletzt war, sind es 40 Prozent. Daher braucht Schalke einen großen Kader, zumal man in drei Wettbewerben antritt. Von 25 Feldspielern stehen im Schnitt 20 Prozent nicht zur Verfügung, das sind fünf Ausfälle. Die dann nach Uruguay fliegen oder nach Donaustauf fahren, um sich von ihren persönlichen Ärzten oder Therapeuten behandeln zu lassen? Wenn ein Spieler fünf Jahre in München gespielt hat, ist es völlig normal, dass er in einer schwierigen Phase seiner Karriere, also bei Verletzung, zu dem Mann seines Vertrauens geht. Es gibt schließlich eine freie Arzt- und Therapeutenwahl. Aber wir haben hier im medic.os die modernsten medizinischen Bedingungen, um die Spieler optimal zu versorgen, und in Dr. Bernd Brexendorf, wie zuvor in Dr. Thorsten Rarreck, einen hervorragenden Vereinsarzt. Daher werden wir in Zukunft darauf achten, dass sich die Spieler vorwiegend hier behandeln lassen.

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