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Kolumne
Vier Siegtorschützen im WM-Finale - Glückloser Ruhm

Mario Götze (rechts) erzielte im WM-Finale 2014 das entscheidende Tor (
Mario Götze (rechts) erzielte im WM-Finale 2014 das entscheidende Tor ( Foto: firo).
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Vier WM-Titel, vier Siegtorschützen, vier Mal ewiger Ruhm, der aber auch schnell verblassen kann. Eine Kolumne. 

Wer träumt nicht davon, das spielentscheidende Tor zu schießen? Egal in welchem Spiel. Vielleicht sogar in einem wichtigen Spiel. In einem Finale. Im WM-Finale! Nie habe ich ein entscheidendes Tor geschossen. Vielleicht habe ich entscheidende Gegentore verhindert, was aber naturgemäß kaum zu belegen ist.

Vier deutschen Fußballspielern gebührt ewiger Ruhm für das entscheidende Tor, das Deutschland viermal zum Weltmeister machte:

  • 1954 Helmut Rahn zum 3:2
  • 1974 Gerd Müller zum 2:1
  • 1990 Andreas Brehme zum 1:0
  • 2014 Mario Götze zum 1:0

Jedoch schaut man sich das Leben dieser vier herausragenden Spieler an, so schleicht sich ein mulmiges Gefühl ein, wie Ruhm und Glück zusammenhängen, positiv oder negativ. Zudem sind sie als Fußballhelden „öffentliches Eigentum“, aber dahinter steht die Person mit all ihren Verletzlichkeiten.

Helmut Rahn: an ihn habe ich keine eigene Erinnerung. Meine Onkel erzählten von „Boss“ Rahn und seinen Dribblings und harten Schüssen. Aus Essen-Katernberg stammend und dem Ruhrgebiet immer verbunden geblieben, hat er sich mit dem Ende seiner Zeit als Fußballspieler nicht arrangieren können und sich immer mehr zurückgezogen. Er wollte keine Aufmerksamkeit und gab keine Interviews mehr. Sein Tor 1954 (tatsächlich schoss er sogar zwei Tore im Finale!) sorgte ganz wesentlich dafür, dass Deutschland nach der totalen Niederlage sich wieder etwas nationale und kollektive Gefühle erlauben durfte. Sein Tor gab der Nachkriegszeit einen Glanz, der zum „Wirtschaftswunder“ und der Aufbruchstimmung passte und zum Vergessenwollen. Ein Mythos.

Gerd Müller: sehr volksnah als „kleines dickes Müller“ mit den unglaublich schnellen Drehungen, die seine Gegenspieler so schlecht aussehen ließen; und „der Bomber der Nation“, der „uns nach Mexico müllert“ (während der Qualifikation zur WM in Mexico schoss er viele entscheidende, aber unspektakuläre Tore). Da ich Fan von Borussia Mönchengladbach war, fürchtete ich diesen unscheinbaren Mittelstürmer; denn oft war er während eines ganzen Spiels nicht zu sehen, um dann doch irgendwie sein Tor zu machen.

Wie gesagt, die Fans liebten ihn, er war einer der ihren; er kam aus einfachen Verhältnissen und blieb sich treu, hob nicht ab, wollte nicht nach oben. Die Mannschaft des FCB war geprägt von Kameradschaft und Rivalität, Müller mittendrin im komplizierten Mannschaftsgeflecht; aber andere waren die Wortführer, sie wollten unbedingt nach oben. Irgendwann hatte er die Nase voll davon, suchte sein Glück in Florida und fiel ganz tief, verlor alles. Die ehemaligen Kameraden und Rivalen erbarmten sich seiner und holten ihn zurück zum FCB, gaben ihm eine kleine Aufgabe, für die er dankbar sein musste.

Er war wieder zurück in einfachen Verhältnissen. Nun lebt er dement im betreuten Wohnen. Aber kein deutscher Stürmer wagt es, sich mit ihm zu vergleichen. Gerd Müller ist unerreicht in den Annalen.

Andreas Brehme: ein trockener Elfmeter, das war’s. Aber wer hat die Nerven, vor zig Millionen Zuschauern in einem WM-Finale den Ball auf den Punkt zu legen und Anlauf zu nehmen? Respekt vor diesem Mut! Und ja, auch das ist ein WM-Titel, der wunderbar in die damalige politische Zeit passte, den Mauerfall und die Wiedervereinigung. Deutschland war wieder groß. Der zurückhaltende und kaltschnäuzige Brehme soll nach seinem Karriereende von seinem Vermögen erheblich Teile verloren haben, soll fungieren als sportlicher Botschafter eines Vereins vom Balkan. Er ist fast vergessen und in den Medien kaum präsent. Er ist kein Held der Massen, wie Rahn und Müller es waren.

Mario Götze: kam als junger Einwechselspieler in der Verlängerung des Spiels gegen Argentinien, lief auf’s Tor zu, wurde gesehen, perfekte Ballannahme im Lauf und Schuss und Tor. Das war das Spiel seines Lebens. Nach Spielende konnte man ihm ansehen, dass er sein Glück kaum fassen konnte, dort auf dem Spielfeld vor der Siegerehrung, alleine. So kam es denn auch, er konnte sein Glück nicht festhalten, im Gegenteil, es begann eine sportliche Leidenszeit, er wurde zum Problem- und Einwechselspieler.

Götze wechselte vom BVB zum FCB und wieder zurück zum BVB auf der Suche nach seinem Glück. Finanziell hat er sicherlich ausgesorgt, aber sein eigenes Wertegefühl sagt ihm sehr wahrscheinlich, dass es das nicht ist, was er wollte und was er erhoffte. Der strahlende Held von 2014 sucht nach Orientierung. Wie viele Fans glauben noch an ihn? Nun ja, ich glaube an ihn, einen der besten Fußballspieler Deutschlands; ein Genuss, ihm zuzuschauen. Leider spielt er nicht mehr in diesen Höhen des Ruhms.

Keiner der vier WM Finaltorschützen hat einen Kultstatus erreicht. Vermutlich haben sie nicht genug Eigenwilligkeit gezeigt und Faszination bewirkt durch das bewusste und medial wirksame Ausbrechen aus den Konventionen. Wie George Best es zelebriert hat, mit dem Gerd Müller in Florida zusammen gespielt hat; er einen hohen Preis dafür gezahlt, weil er nach seinem exzessiven Leben mit nur 59 Jahren starb. Zu seiner Beerdigung kamen 100.000 Menschen.

Da ich mangels fußballerischer Fähigkeiten nie in eine auch nur annähernd ähnliche Situation gekommen wäre, kann ich nicht nachempfinden, wie man sich dabei fühlt und was man so von sich denkt und erwartet: liegt einem die Welt tatsächlich zu Füßen? Ich kann nur diese Auffälligkeit konstatieren, dass Glück und Ruhm keinesfalls zusammengehören.

Ruhm und Glück können eine tragische Symbiose eingehen wie bei diesen vier exzellenten Fußballspielern und können Menschen wie sie in dieser Konstellation zu tragischen Helden machen. Für Fans und Zuschauer hat dies Ausmaße einer klassischen Tragödie in einem Welttheater.

Autor: Bernd-Josef Kohl

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