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Zwanziger: "Chance, der heilen Welt näherzukommen"
"Das Böse kommt oft in der Maske des Guten"

Zwanziger: "Chance, der heilen Welt näherzukommen"
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Im Interview mit dem Sport-Informations-Dienst (sid) erzählt DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger über die Erfolge und dunklen Kapitel in der Historie des Deutschen Fußball-Bundes und welche Lehren man daraus ziehen muss, um einen Beitrag zu einer intakten Gesellschaft leisten zu können.

Der deutsche Fußball feiert am 5. April sein Jubiläum 100 Jahre Länderspielgeschichte. Wie fasst der DFB-Präsident dieses Jahrhundert zusammen?

Es ist eine Top-Erfolgsgeschichte des deutschen Fußballs, das kann man nicht anders sagen. Die Länderspielgeschichte begann bereits acht Jahre nach der Gründung des Verbandes. Deshalb ist die deutsche Länderspielhistorie ja schon fast identisch mit der Lebenszeit des DFB. Und wenn man sieht, was in der Zeit vor dem Krieg, aber besonders in der Zeit nach 1945 durch den Fußball für unser Land erreicht wurde, insbesondere natürlich durch die Erfolge, manchmal jedoch auch durch die Misserfolge - dann ist das einzigartig. Welche gesellschaftliche Bedeutung kommt der Nationalmannschaft zu?

Wir leben heute in einem demokratischen Rechtsstaat, und sind in diesem ein wichtiger Garant für Leistung, Disziplin und Fairness, Anerkennung in der Welt und auch für eine patriotische Grundeinstellung. Gerade die WM 2006 hat in dieser Hinsicht einen unglaublichen Schub gebracht. Das wird mir immer wieder bestätigt, im In- und Ausland. Die WM steht für Fröhlichkeit, für Friedfertigkeit. Daran haben viele mitgewirkt, auch Organisationen außerhalb des Fußballs. Es ist ganz einfach; der Fußball bringt die Menschen zusammen, wie es kein anderer gesellschaftlicher Teil so erreichen kann. Und wenn man die richtigen Botschaften vermittelt, hat man in der Tat eine gute Chance, zur Verbesserung der Lebensverhältnisse beizutragen.

Was kann ihrer Meinung die Nationalmannschaft bewegen?

Die Auswirkungen von 2006 habe ich ja geschildert. Wir hatten 1954 ein ähnliches, aber anderes Ereignis. Da ging es darum, ein Land aus einer völlig depressiven Phase herauszubringen. Nach mörderischen Jahren und nach einer Zeit, in der man aus der Völkergemeinschaft ausgeschlossen war, konnte man wieder ein bisschen Glauben an sich selbst und an seine eigene Leistungsfähigkeit gewinnen. Das war sicher das Ergebnis von 1954, selbst wenn es damals noch nicht Einigkeit und Recht und Freiheit war, weil ein paar Untertöne zu hören waren, die man im Nachhinein nicht so gerne hört. Insoweit haben wir mit dem Fußball natürlich auch schwierige Zeiten mitgemacht und mitgestaltet. Dem DFB wurde zur Jahrtausendwende allerdings vorgeworfen, sich nicht ausreichend mit seiner Vergangenheit, vor allem in der NS-Zeit auseinandergesetzt zu haben. Dies geschah erst nach öffentlicher Kritik...

Die Aufarbeitung des NS-Zeit im DFB war möglicherweise spät, aber nicht zu spät. Wir haben uns in der Vorbereitung unseres Verbandsjubiläums schon mit diesem Thema beschäftigt, aber sicherlich noch nicht mit der wissenschaftlichen Gründlichkeit, wie man das heute erwarten kann. Ich glaube aber, wenn ich die Sportverbände insgesamt betrachte, dass wir bei der Aufarbeitung dieses Themas nicht die Letzten sind - ganz im Gegenteil. Wenn wir uns mit dieser Zeit nicht so ernsthaft auseinandergesetzt hätten, hätten wie die WM 2006 nicht so unbefangen angehen können. Wir haben den richtigen Zeitpunkt gefunden und ein wichtiges Signal gesetzt, wobei es bei dieser Aufarbeitung nicht darum ging, Menschen zu verletzen, die in dieser Zeit gelebt haben und in dieses System involviert waren.

Welche Schlüsse konnte man aus dieser Aufarbeitung ziehen?

Es geht einfach darum, durch Geschichtskenntnisse und Ehrlichkeit für die Zukunft zu lernen. Das wird ja oft übersehen. Manche Leute meinen, man würde nur zurückblicken. Das ist aber der völlig falsche Weg. Das Entscheidende ist, dass man Kindern, die in Freiheit aufwachsen, erklärt, was falsch war und wie man es richtig machen kann. Das ist unser Auftrag. Inwieweit überprüft der DFB immer wieder seine Positionen?

Man darf nie mit sich im Reinen sein, wenn man eine gesellschaftliche Kraft sein will - und das wollen wir. Deshalb müssen wir uns immer wieder hinterfragen, ob wir unseren Auftrag erfüllen. Auch aus dieser geschichtlichen Aufarbeitung wissen wir, dass wir mit ganzer Kraft den gesellschaftlichen Fehlentwicklungen, die tagtäglich in unserem Leben sichtbar werden, besonders auch im Fußball, deutlich widerstehen müssen. Wir müssen die heutigen Herausforderungen annehmen und dieses schleichende Gift des Nationalsozialismus, das uns in veränderter Form immer wieder begegnet, sehr aufmerksam beobachten. Ich halte es da mit dem Theologen und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer, der mal gesagt hat: "Das Böse kommt oft in der Maske des Guten." Und da ist sehr viel dran. Deshalb muss genau diese Wachsamkeit eingefordert werden. Ich betone nochmals: Der DFB muss sich jeden Tag den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen stellen und seinem Auftrag als moderner Sportverband gerecht werden.

Der DFB kämpft gegen Rassismus und auch Drogenmissbrauch...

Wir müssen diese Aufgaben übernehmen, sonst würden wir ja kneifen. Ich kann nicht auf der einen Seite sagen, wir sind mitten im Leben und ein großes Stück dieser Gesellschaft. Und dann, wenn es unbequem wird, drehen wir uns weg. Natürlich gibt es Gewalt im Fußball, es gibt Rassismus im Fußball. Wir haben keine heile Welt. Aber wir haben eine Chance, durch konsequentes Verhalten in Abstimmung mit unserem Staat der heilen Welt etwas näherzukommen. Das ist ein Ziel, das man sich durchaus setzen kann. Und ich denke, dass wir da auch weiterkommen.

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