Deutschland, Italien, Portugal und Spanien genießen allesamt die polnische Gastfreundschaft und bereiten sich auf die letzten Spiele des Turniers vor. In Sachen Finale wage ich keine Prognose, obgleich mein Wunsch klar definiert ist. Doch bei dieser EM sind meine Tipps, mit wenigen Ausnahmen, leider so sicher wie Arjen Robbens Elfmeter. Ralf Piorr kann ein Lied davon singen.
Die Elfmeterentscheidung nach einem torlosen Viertelfinale habe ich ausnahmsweise kommen sehen. Wider jeglicher Fußballlogik, dafür aus purem Egoismus hätte ich dabei den Engländern diesen Sieg gegönnt: Deutschland gegen England wäre für mich der bessere Klassiker, England der bequemere Gegner. Vor allem jedoch hätten die Polen die Gelegenheit, BBC erneut Lügen zu strafen und die archaischen Vorurteile zu beseitigen. „In Särgen zurückkommend“ sah der britische Sender die englischen Fans bereits vor dem Turnier, „sollten sie nicht zu Hause bleiben und nach Polen oder in die Ukraine reisen wollen“. Und während der englische Fußball-Verband nun erwägt, den Sender zu verklagen, bedauert ganz Polen, dass die Engländer nicht mehr in den Genuss der polnischen Gastfreundschaft kommen können.
Meine irischen Nachbarn sind auch schon weg, gesund in der Heimat angekommen. Ihr Wetter ließen sie uns leider hier. Bei diesem „irischen Gastgeschenk“ drücken wir den Three Lions die Daumen, übrigens im selben Garten, in dem wir noch vor wenigen Tagen gegen die Engländer oder vielmehr für die Ukraine waren. Slawische Freundschaft? Diplomatie? Opportunismus?
Wir sehen uns das Spiel in einer überraschenden Runde an, ich ziehe den Hut vor Jendrek, dem Gastgeber. Sieben junge Frauen und ganze drei Männer wohnen unserem Public-Viewing bei, welches dadurch schnell zum Public-Gossiping wird. Oder sind es sogar acht Damen? Als Einziger trinke ich „piwo z sokiem“, Bier mit Himbeersirup oder wie es in Lwiw hieß: „das Bier für sie“. In 120 Minuten stelle ich (mit Erschrecken?) fest, dass ich in Sachen „angebliche Shakira-Schwangerschaft“, „Ashley Coles Sexsucht”, „Spielerfrauen“, sowie „Balotellis Eskapaden“ ein viel zu kompetenter Gesprächspartner bin. Scheinbar lieben wir auch alle Mats Hummels, obwohl unsere Gefühle völlig unterschiedlich begründet sind. Bei der Diskussion, ob Joe Hart ein heißer Feger sei, klinke ich mich vorübergehend aus. Vom Spiel sehe ich ohnehin wenig, da das polnische Gentleman- und Co-Gastgeber-Dasein mit der an sich Testosteron-affinen Formel eines Public-Viewing eindeutig kollidiert. Ich hole (gerne) Getränke, Decken und Mückenschutzmittel. Schließlich weiß ich doch, dass das Spiel 0:0 ausgeht.
Die Runde ist durchaus kompetent: unter uns sitzen Joasia, die Pressesprecherin von meinem Lech Posen; Marta, Jendreks Freundin, und meine Schwester Zosia. Unsere Fußballleidenschaft hat Marta und Zosia erstaunlich gut geprägt, sie glänzen mit unnötigen Fußballwissen, wir sind stolz. Der Rest liest interessiert in „Futbologika“ (dt. „Fußballlogik“), einer wunderbar herausgegebenen Fußballgebrauchsanweisung für Damen. „Wie man den Fußball verstehen und lieben lernt“ heißt es im Untertitel. Witzig, liebevoll und im tollen Design werden (auf Polnisch und auf Englisch) Begriffe wie Abseits, Eigentor (oder wie es im Polnischen heißt: „samobój = Selbstmordtor“) oder die Tanzschritte von (Jerzy) „Dudek Dance“ erklärt. Ich schenke ein Exemplar Marta, habe ich doch vor lauter Begeisterung gleich fünf davon gekauft. Neue Bildungsmaßnahmen für die Kölner Damenwelt.
Die Buchhandlungen sind übrigens voll von Fußballliteratur, sowie allen möglichen Fanutensilien. Lediglich die letzten gesuchten Panini-Bilder haben sie nicht. Die Fußballtrikots werden nach und nach runter gesetzt. Beim Anblick einer wahren Slavek & Slavko-Invasion frage ich mich lediglich: werden die beiden Jungs ab nächste Woche obdachlos? Dieser Frage gehe ich in den nächsten Tagen nach: in Donezk, Warschau und Kiew. Dabei wird mir mein neu erworbener Deutsch-Polnisch-Ukrainisch-Fußballsprachführer sicher helfen.