Bei einem von Sicherheitskräften bewachten Marsch von mehreren Tausend russischen Anhängern entlang der Weichsel zum Nationalstadion provozierten sich die Fangruppen gegenseitig, und es kam zu teils heftigen Auseinandersetzungen.
Augenzeugenberichten zufolge reagierten russische Fans auf Beschimpfungen aus den polnischen Reihen mit Flaschenwürfen. Fernsehbilder zeigten eine Gruppe von 10 bis 15 kämpfenden Fans. Über ihren Köpfen kreiste ein Polizei-Hubschrauber. Über verletzte Personen wurde zunächst nichts bekannt.
Bei den Schlägereien nahe des Stadions, bei den auch Rauchbomben gezündet wurden, schritt die Polizei ein, die Beamten wurden mit Feuerwerkskörpern, Steinen und Flaschen beworfen. Die Polizei setzte Tränengas und Wasserwerfer ein und löste den Marsch auf.
Warschauer Innenstadt glich einer Hochsicherheitszone
"Über die Anzahl der festgenommenen Personen kann ich noch keine Angaben machen. Die Lage ist aber mittlerweile unter Kontrolle", sagte Maciej Karczynski, Sprecher der Warschauer Polizei, auf SID-Anfrage gut 90 Minuten vor Spielbeginn (20.45 Uhr).
Während die Nationalhymne kurz vor dem Anpfiff von Schiedsrichter Wolfgang Stark (Ergolding) abgespielt wurde, rollten russische Anhänger am Nationalfeiertag des Landes ein riesiges Banner aus, das die komplette Fankurve bedeckte: "This is Russia", stand darauf, abgebildet war ein furchterregender Krieger. Die polnischen Fans reagierten mit einem Pfeifkonzert und lautstarken "Polska"-Rufen.
Die polnischen Behörden waren bereits den gesamten Tag in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt worden. Ab dem Vormittag glich die Warschauer Innenstadt einer Hochsicherheitszone. Überall standen Hundertschaften der Polizei, Sondereinsatzkräfte in Kampfmontur beteiligten sich an der Bewachung des Fanmarsches.
Das werde die größte Herausforderung für sämtliche Ordnungskräfte in der Hauptstadt, hatte der polnische Innenminister Jacek Cichocki bereits am Montag erklärt. Man werde die Situation ständig auf mögliche Gefahrenherde hin analysieren. Man hoffe, dass die pessimistischen Szenarien nicht eintreten werden. Doch bei dem von Anfang an kritisch gesehenen Marsch zum Stadion eskalierte die Situation.
Beziehungen zwischen Russland und Polen belastet
Bis zu 20.000 russische Fans hatte die Polizei erwartet, nur 9800 waren im Besitz einer Eintrittskarte. Daher war Polens EM-Turnierdirektor Adam Olkowicz in großer Sorge. "Das ist eine große Herausforderung", sagte Olkowicz. Sicherheit sei eines der schwierigsten Themen. Man könne nicht alles vorhersehen.
Die Beziehungen zwischen Russland und Polen sind durch zahlreiche kriegerische Auseinandersetzungen belastet. Im Polnisch-Sowjetischen Krieg (1919 bis 1921) starben Zehntausende Menschen. Im Zweiten Weltkrieg waren in Katyn (heute Russland) bei einem Massaker der sowjetischen Geheimpolizei Tausende Polen ermordet worden.
Vor zwei Jahren war der damalige polnische Präsident Lech Kaczynski auf dem Weg zu einer Trauerfeier anlässlich des 70. Jahrestages des Massakers bei einem Flugzeugabsturz bei Smolensk in Russland mit weiteren Regierungsmitgliedern tödlich verunglückt. Die genauen Umstände sind bis heute unklar.
"Jede Kleinigkeit wird die historischen Missstände, die nie ganz aufgeklärt wurden, wieder ans Tageslicht bringen", sagte Andrzej Rychard, ein Soziologe an der polnischen Akademie der Wissenschaften, in Hinblick auf das Spiel.
In der Nacht vor der Begegnung hatten polnische Fans das russische Teamhotel in Warschau unter Dauerbeschallung gestellt. Bis in die frühen Morgenstunden grölten sich bier- und wodkaselige Anhänger des Co-Gastgebers vor dem edlen Le Meridien Bristol an der Prachtstraße Krakowskie Przedmiescie die Seele aus dem Leib, um Andrej Arschawin und Co. den Schlaf zu rauben.
Dabei verbanden die Fans am Rande der Warschauer Altstadt ausdauernd das Angenehme mit dem Nützlichen. Nur wenige Meter entfernt befindet sich das Przekaski Zarkaski, eine der angesagtesten Kneipen der Stadt.