An Zeiten, als so manch pubertärer Fehlgang letztendlich im Vier-Augen-Gespräch mit dem Schul-Oberhaupt gipfelte.
Harald Lehmann, Leiter der evangelischen Gesamtschule Gelsenkirchen-Bismarck, empfängt uns in seinem Büro. Auf dem Konferenztisch liegt bereits in mehrfacher Ausführung der Grund für unseren Besuch: ein unterschriftsreifer Kooperationsvertrag, der zukünftig die Zusammenarbeit zwischen der kirchlichen Lehranstalt und dem Nachwuchsbereich der SG Wattenscheid 09 regeln wird. Denn die 09er arbeiten fieberhaft an der Umsetzung eines Nachwuchsleistungszentrums, um die Weichen für die Zukunft zu stellen.
"Ur-Wattenscheider" Harald Lehmann erinnert sich noch an Babington und Co. (Foto: pozo).
Und mit Lehmann scheint man einen echten Glücksgriff getan zu haben. Der ist nämlich nicht nur in Wattenscheid geboren und aufgewachsen, sondern auch ein bekennender Anhänger der Sportgemeinschaft. „Ich war schon in der Lohrheide, als noch Hannes Bongartz und Carlos Babington dort aktiv waren“, erinnert sich der Pädagoge und plaudert aus dem Nähkästchen: „Die SGW war immer etwas ganz Besonderes, zwischen den Großen im Revier. Nicht zuletzt“, betont der Rektor, „weil die Bilanz gegen die übermächtigen Bayern noch immer bemerkenswert ist.“
Tatsächlich konnten die 09er dem Rekordmeister in vier jahren Bundesligazugehörigkeit drei Unentschieden und zwei Niederlagen beibringen, wie am 2. April 1993, als Ali Ibrahim und Marek Lesniak per Fallrückzieher dazu beitrugen, dass Werder Bremen am Ende der Spielzeit die Meisterschale in die Luft stemmen durfte. „Ich weiß es noch wie heute. Schon beim Aufwärmen hat man gemerkt, dass die Bayern mit einer auffälligen Arroganz an die Sache herangehen. Das wurde knallhart bestraft.“
Aber das ist lange her, die Gegenwart sieht anders aus. Die 09er sind nur noch fünftklassig, kämpfen aktuell gegen den erneuten Absturz in die Bedeutungslosigkeit der Verbandsliga. „Umso mehr begeistert mich die Arbeit im Nachwuchsbereich“, erklärt Lehmann. „Vor allem, weil man es offensichtlich schafft, den Tod von Klaus Steilmann irgendwie zu kompensieren.“ Peter Lange, sportlicher Leiter an der Lohrheide, stimmt zu. „Natürlich ist es nicht einfach. Im Endeffekt steht jeder Verein, der sich von einer Person abhängig macht, irgendwann vor riesigen Problemen. Im Moment arbeiten wir strukturell, um den Verein wieder unabhängig zu machen.“
Der Kooperationsvertrag mit der Gesamtschule ist ein wichtiger Bestandteil dieses Vorhabens - auf dem Weg zum Nachwuchsleistungszentrum. „Das gehört zu den Auflagen des DFB“, erläutert Jugendleiter Christoph Klöpper. „Außerdem werden beide Seiten von der Partnerschaft profitieren.“ In der Tat werden Nachwuchstrainer zukünftig zweimal wöchentlich die Fußball-AG der Schule leiten. Im Gegenzug versuchen die Verantwortlichen, möglichst oft Talente an der beliebten Schule unterzubringen und deren moderne Infrastruktur zu nutzen. Eine riesige Turnhalle, die sich sogar Arena nennt, dazu ein hochmoderner Kraftraum. Vorzüge, die der Sportgemeinschaft aktuell nicht zur Verfügung stehen.
Harald Lehmann unterzeichnet den Kooperationsvertrag (Foto: pozo).
Vor der Vertragsunterzeichnung steht erstmal eine ausgiebige Führung über das Schulgelände an. Auffällig ist vor allem die außergewöhnliche Architektur. Über den begrünten Lichthof im Hauptgebäude gelangen wir in die Klassenhäuser, die auf zwei Etagen den Schülerinnen und Schülern viel Raum lassen. Darüber hinaus gestalten die Schüler selbst ihre Lernumwelt. Mit alternativen Lernkonzepten, die Musik, Theater, Handwerk, Sport und Spiel in den Unterrichtsalltag einbeziehen, will die Schule Akzente setzen gegen eine Kultur des Wegschauens. Und die Charakterbildung nicht weniger ernst nehmen als die Wissensvermittlung. Wir sind beeindruckt.
„Nun müssen wir schauen, wie wir diese Partnerschaft zukünftig mit Leben füllen“, kündigt Sportlehrer Martin Sievert an, während Schulleiter Lehmann das Kooperationspapier unterzeichnet. Sievert gehört übrigens zu den Menschen, die damals den Transfer von Hannes Bongartz zum FC Schalke 04 finanziert haben. Mit der so genannten Bongartz-Mark, die auf die Eintrittskarte im Gelsenkirchener Parkstadion erhoben wurde. Sievert grinst: „Aber bei mir bedankt hat er sich nie.“