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1959 in Köln: Erster türkischer Fußballer in Deutschland
„Hier Türke Taş!“

1959 in Köln: Erster türkischer Fußballer in Deutschland
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Am Abend des 4. Juni 1959 stand ein Mann verloren und allein am Kölner Hauptbahnhof. In der Hand hielt er einen großen Koffer und etwas nervös wartete er auf das Auto, das ihn abholen sollte. Coşkun Taş war angekommen. Als erster türkischer Fußballer wollte er sein Glück im deutschen Fußball machen.

Und der sportliche Einstieg in die Oberliga West? Ich brauchte etwas Zeit. Beim Training riefen immer alle: „Kriegste den?“ Und das alles in Kölsch. Ich verstand es nicht und suchte zu Hause vergeblich im Wörterbuch nach dem Wort „Kriegste“. Bis mir jemand sagte: „Bekommen“, dann wurde es mir klar.

Sie wurden mit dem 1. FC Köln 1960 Westmeister und in der Endrunde gelang Ihnen der Durchbruch: Sie machten alle Spielen, schossen drei Tore, bekamen sehr gute Kritiken, aber beim Endspiel standen Sie nicht in der Elf. (Taş steht auf und holt sich ein Zigarillo. „Wissen Sie, später habe ich am Rechner als Systemanalytiker das Rauchen angefangen.“ Er setzt sich wieder, zündet sich das Zigarillo an und spricht im ruhigen Ton weiter.) Das war eine schockierende Erfahrung. Ich saß ratlos auf der Tribüne im Frankfurter Waldstadion und konnte es nicht verstehen. Es war sehr heiß, das war richtig mein Wetter. Als Linksaußen spielte der junge Karl-Heinz Thielen, der von unseren Amateuren kam, aber der größte Fehler war, dass man Georg Stollenwerk, der erst 14 Tage zuvor operiert worden war, auf der linken Abwehrseite als Manndecker gegen den Hamburger Charly Dörfel stellte. Gerade in der letzten halben Stunde ließ bei Georg die Kraft nach, und Dörfel entschied das Spiel zugunsten des HSV. Später hat Georg Stollenwerk zu mir gesagt: „Coşkun, es war ein Fehler, das ich gespielte habe und du nicht.“

Es wird kolportiert, Franz Kremer hätte entschieden, in einem deutschen Endspiel stehen nur Deutsche. Ja, das ist richtig. Das hat mir ein paar Monate später der Trainer Oswald Pfau erzählt. Er sagte: „Herr Taş, ich konnte mich nicht durchsetzen.“ In dem Gremium, das über die Aufstellung für das Endspiel entschied, saßen vier Leute: Franz Kremer, Hans Schäfer, der Fußballobmann Neubauer und der Trainer. Ich habe dann gesagt: „Wenn die so denken, wirst du hier nichts.“ Ich war innerlich geknickt und hatte gar keine Lust mehr, zum Training zu gehen. Von meiner inneren Einstellung her, hatte sich für mich persönlich der Fußball zumindest hier in Deutschland erledigt. In der neuen Saison konzentriere ich mich mehr auf meinen kaufmännischen Beruf und verlor fast zwangsläufig meinen Platz auf der linken Seite. Am Ende des zweiten Jahres beim FC hatte ich mich entschlossen, den Club zu verlassen. Ich wollte aber in Köln bleiben, da ich an der Sporthochschule bei Hennes Weisweiler mein Diplom als Fußball-Lehrer begann. Ich sagte mir: „Ein Jahr hältst du hier noch durch, dann gehst du zurück in die Türkei.“ So wechselte ich in die Zweite Liga zum Bonner FV. Aber wissen Sie, ich kam als studierter Mensch nach Deutschland, engagierte mich politisch und las gerne und je mehr deutsch ich verstand, desto mehr distanzierte es mich von diesem Fußballmilieu, denn die Spieler sprachen immer nur über Frauen, Autos, Alkohol und Geld. Das war einfach nicht meine Welt. Und die berufliche Entwicklung? Die Ford-Werke suchten 1962 einen Trainer für ihre Betriebsmannschaft, die in der Bezirksliga spielte. Die Aufgabe konnte ich mit links erledigen und gleichzeitig kam ich als Angestellter in der Abteilung für Verkaufsplanung unter, deren Leiter ich später wurde. Diese Entscheidung bedeutete aber auch meinen endgültigen Rückzug vom Fußball als Leistungssport.

Sie sind als türkischer Fußballmigrant in Deutschland ein Vorreiter für viele Ihrer Landsleute gewesen. Als ich am 4. Juni 1959 nach Köln kam, war ich inklusive der Mitarbeiter im Generalkonsulat der 18 Türke in Köln. Als später die Migrationswelle aus der Türkei einsetzte, habe ich mich aber mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, als „Mittler“ benutzt zu werden. Die Leute waren mir einfach fremd, sie kamen aus dem Osten der Türkei und mussten 50 Jahre überspringen. Ich war ein moderner, westlich eingestellter Mensch. Bei Ford arbeiteten später über 8.000 Türken im Betrieb, aber in der Zentrale war ich der einzige. Es gab schon einmal Deutsche, die mir den Job neideten. Ich habe denen entgegnet: „Um die Stelle hier zu bekommen, musste ich doppelt so hart arbeiten.“

Wann ist bei Ihnen der Entschluss gereift, in Deutschland zu bleiben? Anfangs ging es immer nur Jahr für Jahr: der 1. FC Köln, das Sportlehrer-Diplom, die Arbeit bei Ford. Dann habe ich meine Frau kennen gelernt, geheiratet, schließlich wurde mein Sohn geboren. Da habe ich gesagt: „Jetzt ist Schluss! Bereite dich darauf vor, ewig in Deutschland zu bleiben!“ Ich habe mich in dieser Stadt auch immer wohl gefühlt, in Süddeutschland wäre das vielleicht anders gewesen. Aber ich mag die rheinländische Mentalität. Ich nahm auch die deutsche Staatsbürgerschaft an. So bin ich heute vieles: ein Kind Atatürks, denn ich bin stolz auf das Land, aus dem ich komme, ein Fußballer, ein Mensch, der über 30 Jahre bei Ford gearbeitet hat, ein Familienvater, deutscher Staatsangehöriger und vor allem ein Kölner. Herr Taş, ich danke für das Gespräch.

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