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Rollstuhlrugby: Lukas Kasperczyk über Ehrgeiz und Heilkräfte
„Ein Sport für Verrückte“

Rollstuhlrugby: Lukas Kasperczyk über Ehrgeiz und Heilkräfte
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Das war schon eine beeindruckende Kulisse, die sich den Teilnehmern beim „Bernd Best Turnier“ bot. In drei Sporthallen boten 340 Spieler aus 13 Ländern ihr Können im Rollstuhlrugby. 47 Teams von der Hobbyliga bis zur Champions League gaben sich bei der 10. Jubiläumsausgabe die Ehre.

Rollstuhlrugby, das vor 30 Jahren in Kanada als „Murderball“ entstand, wird hauptsächlich von Menschen mit einer Schädigung der Halswirbelsäule (Tetraplegie) oder vergleichbaren Behinderungen gespielt. Alle Spieler haben Einschränkungen sowohl an den Beinen als auch an den Armen oder Händen. Ziel ist es mit einem Volleyball möglichst viele „Touch downs“ an einem acht Meter breiten Tor an der Endlinie zu erzielen. Premiere beim weltweit größten Turnier feierte in diesem Jahr Lukas Kasperczyk. Der 28-Jährige, einst eine Fußballkarriere vor Augen, sitzt seit einem Unfall vor fünf Jahren im Rollstuhl. Mit RevierSport sprach Kasperczyk über die Faszination Rugby, seinen Ehrgeiz und die Heilungskräfte des Sports.

Lukas Kasperczyk, wann haben Sie das erste Mal vom Rollstuhlrugby gehört? Das war schon vor fünf Jahren in der Bochumer Klinik, dort haben Therapeuten und Patienten davon erzählt. Einige haben dort auch trainiert, außerdem gab es am schwarzen Brett Informationen dazu. Damals wurde Ihr Interesse aber noch nicht geweckt! Für meine Behinderung gibt es, durch die Einschränkung der Arme, praktisch nur zwei Sportarten, nämlich Tischtennis mit einem fixierten Schläger und Rugby. Ich habe mir beides angesehen, aber war nicht wirklich überzeugt davon.

Jetzt sind Sie voll infiziert!

Im Dezember vergangenen Jahres wurde ich von zwei Jungs aus dem Team angesprochen, dass ich sportlich aussehen würde und ob ich aktiv bin. Zwar bin ich Ex-Fußballer, habe auch in der Regionalliga gespielt, aber zu diesem Zeitpunkt habe ich nichts gemacht, außer meine therapeutischen Einheiten. Wann hat es endgültig „klick“ gemacht? Ich bin nach Düsseldorf zum Training gefahren und habe mir das Geschehen angeguckt. Da habe ich gemerkt, dass Fußball meine Passion war, ich dafür Talent hatte. Beim Rugby muss ich alles von Anfang an lernen, die anderen waren besser als ich. Da hat mich mein Ehrgeiz gepackt, ich wollte mich verbessern, besser werden als die anderen. Sind Sie mit den Fortschritten zufrieden? Das müssen andere entscheiden. Ich bin mir noch unsicher, ob ich was reißen kann. Wenn ja, dann wäre natürlich die Champions League oder die Nationalmannschaft mein Ziel. Momentan macht aber die Hobbyliga einfach viel Spaß. Dabei geht es nicht nur um den Sport! Vor allem der Austausch mit den Teamgefährten ist wichtig und eine tolle Hilfe im Alltag. Man findet neue Freunde, die wissen, wovon man spricht, wie es einem geht. Diese Solidarität ist fantastisch. Ich gehe zwei Mal die Woche zum Training und merke, dass ich wieder angekommen bin. Wie sieht Ihr Training aus? Oftmals ist es identisch mit den Fußball-Einheiten. Wir machen Spurts und Linienläufe. Die Taktik ist sehr wichtig und spielt neben der Kondition eine entscheidende Rolle.

Schon der Ursprungsname „Murderball“ lässt auf die Härte schließen, die auf dem Feld vorzufinden ist. Es ist tatsächlich eine sehr heftige Sportart, da wird der Körper ganz schön durchgeschüttelt. Es gibt auch Stürze, so sah ein Kollege mit einer Platzwunde letztens aus wie Wladimir Klitschko nach einem Boxkampf. Außenstehende haben oft auch Angst und sagen, ich soll lieber Tischtennis spielen. Aber im Prinzip kann nichts wirklich Schlimmes passieren, und den Beteiligten macht es großen Spaß. Es ist wahrscheinlich ein Sport für Verrückte. Und ich hab die Chaoten im Team ins Herz geschlossen. Beim „Bernd Best Turnier“ in Köln wurde die weltweite Popularität der Disziplin erkannt. Es ist schon toll, dass Mannschaften aus 13 Ländern vor Ort waren. Deutschland belegt in der Weltrangliste mittlerweile Rang sieben von 23. Sensationell, dass sich dieser Sport so verbreitet hat. Umso schlimmer, dass Rollstuhlrugby immer noch unter großer Sponsorennot leidet. Konnten Sie feststellen, dass bei vielen Akteuren neben dem Sport auch der soziale Aspekt im Vordergrund steht? Das merke ich bei meinen Teamkollegen wie bei mir selbst. Der Sport hilft, schlechte Gedanken zu vertreiben. Wenn man mal drei Nächte nicht geschlafen hat und an die Wand starrt, kriegt man miese Laune und Aggressionen, die man nur an der Familie oder der Freundin auslässt. Wenn man dann auch noch ständig hört, dass man an den Rollstuhl gefesselt sei und das Leben ja quasi zu Ende ist, kriege ich zu viel. Das Wichtigste für mich ist die Selbstbestimmung, seine eigenen Ideen und Wünsche zu verwirklichen und auszuleben. In der Gruppe ist man einer unter vielen, man teilt sein Schicksal. Ansonsten wird man im Alltag ja überall nur bemitleidet… …beim Rugby ist das ganz anders! Natürlich, da geht es hart zur Sache, da werden auch Sprüche gerissen. Wir Rollis sind ja eh alle ziemlich sarkastisch. So rufen wir einem gestürzten Kollegen auch schon mal zu „Hey Saftsack, steh mal auf“. Es tut gut, auch mal Späße zu machen, in Depressionen zu verfallen, nützt keinem. Ein Vereinsleben können Sie also nur weiterempfehlen! Einfach hingehen und sich das angucken, meistens ist es die Mühe wert. Es geht einem bestimmt nicht schlechter als vorher.

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