Spätestens seit 2006 hat sich das Bottroper Jahnstadion seinen Platz in der Geschichte des Behindertensports gesichert. Seinerzeit fand im schon 1924 erbauten und gerade erst renovierten Stadion ein WM-Spiel der Deutschen Nationalmannschaft für Menschen mit geistiger Behinderung statt.
Dass die Athleten mit einer körperlichen Behinderung zur Anlage kommen, passiert indes nicht allzu oft. Selbst erfahrene Sportlerinnen wie die dreifache Paralympics-Teilnehmerin Astrid Höfte erklären: „Für mich wird es sogar mein erster Wettkampf auf dieser Bahn sein.“ Da gilt es, sich frühzeitig an die Bedingungen zu akklimatisieren, weshalb die 31-Jährige schon zwei Wochen vor ihrem Start die Laufbahn testete. „Sieht sehr gut aus, macht einen sauberen Eindruck“, sagt sie schon beim Betreten des Stadions.
Vor sich hat sie einen M-Belag des Herstellers Polytan, bei dem die Fachleute von einem „Gießbelag“ sprechen. Das bedeutet, dass zunächst eine elastische Basisschicht verlegt wird. Die Basisschicht besteht aus recycelten Gummikörnchen, die durch ein Polyurethanbindemittel elastisch miteinander verbunden werden. Auf ihr befindet sich dann die eigentliche Nutzschicht mit den farbigen, meist roten, Gummigranulaten. Diese werden in einem speziellen Verfahren in eine zunächst flüssige, vorab auf die Basisdecke gegossene Beschichtungsmasse, eingebunden. Die elastischen Granulate bilden so mit ihren Spitzen eine strukturierte Oberfläche. Es entsteht ein wasserundurchlässiges System, das absolut nahtfrei im Ortseinbau verlegt wird und über eine exakt definierte Härte verfügt.
Auf den richtigen Grip kommt es an. Wenn sich die Spikes in die Gummikörnchen drücken, muss die Elastizität die Energie direkt zurückgeben und den Sportler in eine Vorwärtsbewegung bringen. „Spikefest“ nennt der renommierte Hersteller Polytan diese Produkteigenschaft, bei der es gleichzeitig darauf ankommt, ideale Dämpfungseigenschaften zu erzielen und somit die Sehnen und Gelenke der Sportler zu schonen.
Höfte: „Für uns Sprinter gilt: Je härter, desto besser. Auf einer zu weichen Bahn sacken wir richtig ein. Da fängt der Untergrund die ganze Kraft auf.“ Rund fünf Jahre hat die Laufbahn des Jahnstadions nun auf dem Buckel. „Sehr gut für gute Leistungen“, erklärt die gebürtige Münsteranerin. Die Bahn hat dann noch keine Qualität eingebüßt. Man spürt praktisch keinen Unterschied zu einem neuwertigen Boden. Und hier kann man auch nicht die kleinste Welle sehen. Das ist absolut eben. „Tatsächlich verfügt die Bahn nur über einen minimalen Neigungswinkel nach innen, um somit die Drainage auch bei schweren Niederschlägen zu gewährleisten und sichere Laufbedingungen zur Verfügung zu stellen. Höftes Fazit: „Wir werden uns auf einige schnelle Zeiten freuen können.“
Weiter geht es zur Sprunganlage. Weitspringer sprechen gerne mal von einer „Rampe“, wenn sie besonders gute Bedingungen vorfinden. Höfte wartet hier noch auf den ganz großen Satz, beißt sich seit Jahren die Zähne an der Fünf-Meter-Marke aus. Während der letzten WM im indischen Bangalore war sie mit 4,96 Metern schon nah dran, und im Jahr 2010 kann sie bisher eine Weite von 4,71 Meter vorweisen. „So gut bin ich noch nie in die Saison gestartet.“ Können hier die fünf Meter fallen? „Mit etwas Glück und an einem guten Tag: Ja. Die Bedingungen, insbesondere das harte Absprungbrett, geben das her“, sagt sie mit einem Blick auf den weißen Balken. „Es gilt, den genau zu treffen. Dann ist was möglich.“ Übrigens: Polytan versteht es, bei der Beschaffenheit des Untergrunds auf die speziellen Bedürfnisse der Disziplinen anzupassen.
Neben der Qualität des Untergrunds ist es vor allem die hohe Präzision bei der Verlegung durch die eigenen Einbauteams, die Polytan-Bahnen im Hochleistungssport so beliebt machen. Dass die IAAF, der Internationale Leichtathletik-Verband, den Laufbahnen des Herstellers aus dem bayrischen Burgheim die Freigabe nach Class-1- und Class-2-Kriterien erteilt hat, der Boden somit die Eignung für nationale und internationale Wettkämpfe mitbringt, versteht sich fast von selbst. So wundert es nicht, dass der M-Belag den Weg der Topathleten mehr als einmal kreuzt. Man findet ihn im Londoner Crystal Palace Stadium, dem Zentrum der britischen Leichtathletik, im Donaustadion Ulm, schon mehrfach Austragungsort Deutscher Meisterschaften, aber auch im Hans-Braun-Stadion, der Trainingsanlage des Olympiastadions Berlin. Hinzu kommen das Chaoyang International Stadium in Peking, die Anlage der Deutschen Sporthochschule in Köln, und, und, und...