Der Titelanwärter Deutschland mühte sich gegen Portugal lange vergeblich, gewann aber dank eines späten Kopfballtreffers von Gomez (72.) etwas schmeichelhaft 1:0 (0:0). Torwart Manuel Neuer rettete in der Schlussphase den Zittersieg.
Der erste Treffer von Torjäger Gomez bei einem großen Turnier, erzielt auf Vorlage von Sami Khedira, und Neuers Glanzparaden verschafften dem Vize-Europameister eine glänzende Ausgangsposition. Da der vermeintliche Titelkandidat Niederlande gegen Dänemark sensationell 0:1 verloren hat, kann die DFB-Auswahl am Mittwoch (20.45 Uhr/ZDF) in Charkow den Einzug ins Viertelfinale perfekt machen und dem Erzrivalen den K.o.-Schlag versetzen.
Überzeugend war der deutsche Auftritt vor 32.990 Zuschauern in Lwiw insgesamt nicht. Zwar legte der EM-Zweite von 2008 den portugiesischen Superstar Cristiano Ronaldo weitgehend an die Kette - doch in der Offensive spielte die junge deutsche Elf selbst zu selten entfesselt. Mehrmals half hinten auch das Glück: Pepe, einer der portugiesischen Innenverteidiger, schoss an die Unterkante der Latte - von dort prallte der Ball genau auf die Linie (45.). Eindeutig kein Tor.
In der 84. Minute rutschte Nani bei der portugiesischen Schlussoffensive eine Flanke ab, der Ball flog erneut gegen die Latte. Zwei Minuten vor Schluss rettete Neuer spektakulär gegen Silvestre Varela.
Verlierer des Abends im deutschen Team war Miroslav Klose. Fast alle Experten waren sich einig, dass Löw dem Stürmer von Lazio Rom an dessen 34. Geburtstag das Vertrauen schenken würde, aber er tat es nur für die letzten zehn Minuten - als Ersatz für Gomez.
Löw hatte im Gegensatz zu seinen sonstigen Gewohnheiten neben Gomez eine weitere Überraschung parat: Dass Jerome Boateng auf rechts verteidigen durfte, war trotz dessen nächtlicher Aktivitäten am vergangenen Montag in Berlin noch absehbar gewesen. Aber plötzlich stand da in der Innenverteidigung neben Holger Badstuber der Dortmunder Mats Hummels, nicht Per Mertesacker. Ein Coup, ein Risiko, das nicht bestraft wurde. Hummels wirkte etwas nervös, aber solide, er harmonierte ordentlich mit Badstuber.
Boateng und Gomez führten sich im kleinsten Stadion dieser EM gleich gut ein. Der Sekundenzeiger hatte gerade mal eine Runde absolviert, da flankte der Abwehrspieler auf den Angreifer - und bei dessen Kopfball aus etwa zehn Metern musste sich der portugiesische Torhüter Rui Patricio gewaltig strecken. Es blieb zunächst der einzige Höhepunkt, bis Lukas Podolski, der in seinem 98. Länderspiel mit Michael Ballack gleichzog, aus 18 Metern halblinker Position einfach mal draufhielt (9.).
Die deutsche Mannschaft war von Beginn an bemüht, konstruktiv und schnell nach vorne zu spielen - die Portugiesen allerdings hatten etwas dagegen. Sie waren gut postiert, verschoben geschickt, boten kaum Räume oder Lücken an. Wenn doch, wie ab und an in der zweiten Halbzeit, rutschten die Portugiesen teils im halben Dutzend in die Hereingaben, um ein Gegentor zu verhindern.
Zwar versuchte Bastian Schweinsteiger, den Strategen zu geben, zündende Einfälle aber kamen ihm kaum. Auch von Mesut Özil war wenig zu sehen, über Podolski und Thomas Müller auf den Außenbahnen ging ebenfalls wenig. Das Tor der Portugiesen war zunächst selten in Gefahr.
Der Dortmunder Hummels, der in der zweiten Halbzeit Sicherheit gewann, war früh in Erscheinung getreten - mit einem zu kurzen Rückpass auf Manuel Neuer. Portugals Angreifer Helder Postiga rutschte mit offener Sohle heran - streifte den deutschen Torhüter aber nur am Schienbein, nicht auszudenken, hätte er ihn voll getroffen. Schiedsrichter Stephane Lannoy (Frankreich) beließ es bei Gelb, Neuer konnte weiterspielen.
Der einsamste Mann auf dem Spielfeld war zunächst Cristiano Ronaldo. Der Torjäger von Real Madrid sah den Ball meist nur aus der Ferne, die Deutschen griffen die Mitspieler des portugiesischen Mannschaftskapitäns derart resolut an, dass diese Mühe hatten, das Spielgerät zu verarbeiten und danach zu ihrem Anführer weiterzuleiten. Nach 18 Minuten allerdings ließ Ronaldo mit einem vierfachen Übersteiger Boateng erstmals alt aussehen, passte nach innen - und prompt war Gefahr da.
Fast schien es jedoch, als seien die deutschen Spieler zu sehr damit beschäftigt, die Kreise des früheren Weltfußballers einzuengen - Platz für Kreativität blieb wenig. Gomez rieb sich auf, kämpfte, dem Bayern-Stürmer war kein Vorwurf zu machen; er bekam wie Ronaldo zu selten Zuspiele. Entsprechend ruhig war es in der deutschen Kurve, aus der immer wieder Papierkugeln flogen. Der Stadionsprecher griff deshalb mehrmals zum Mikrofon. José Mourinho, Coach von Özil, Khedira, Ronaldo, Pepe und Fabio Coentrao, hatte Zeit, in aller Ruhe SMS zu schreiben.