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EM-Tagebuch, Tag I
Horror-Bustour nach Warschau

EM-Tagebuch, Teil 1: Horror-Bustour nach Warschau
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Als ich erfuhr, dass ich zur Europameisterschaft nach Polen reisen darf, war ich aus dem Häuschen. Immerhin bedeutete es für mich: ab zur Heim-EM!

Meine Eltern entschlossen sich 1990 von unserem Heimatdorf Sasino, im hohen Norden Polens direkt am Meer gelegen, nach Deutschland auszuwandern. Ich war gerade einmal sechs Jahre alt. Hätte meiner Familie und mir jemand damals vorhergesagt, dass ich 22 Jahre später als RevierSport-Redakteur zur Fußball-Europameisterschaft nach Polen reisen würde, hätten wir diesen Menschen wohl persönlich bei den Männern in den weißen Kitteln abgeliefert. Aber es sollte so kommen.

Um mein Budget für die EM sparsam aufzuteilen, kam ich auf die überragende Idee mit einem Fernreisebus meinen Trip nach Polen anzutreten. Es sollte sich als absoluter Wahnsinnseinfall herausstellen.

RS-Redakteur Krystian Wozniak wird während der EM für uns zwei Wochen quer durch Polen reisen und unsere User mit seinem Tagebuch auf dem Laufenden halten. Ob in Warschau, in Posen, in Breslau oder in Danzig, „Wozi“ ist dabei und berichtet nicht nur aus den Stadien. Er ist auch am Rande der Bande aktiv und gräbt die Geschichten aus, die sonst im Verborgenen geblieben wären...

6. Juni, Essen Hauptbahnhof, 15 Uhr. Noch eine halbe Stunde habe ich Zeit, bevor der Eurolines-Bus mich in Richtung Warschau abholt. Ich nutze diese 30 Minuten um mich noch mit etwas Lesestoff für die geplante 20-Stunden-Tour zu versorgen. Neben der WAZ und der RS-Ausgabe vom Montag, habe ich mir seit langer Zeit mal wieder die Sport Bild gegönnt. Statt der geplanten Abfahrt um 15.30 Uhr, kam der Bus erst kurz nach vier in der Kulturhauptstadt von 2010 an. Naja, die halbe Stunde wird der Kutscher Andrzej aus Bialystok schon wieder auf der A2 gutmachen - dachte ich zumindest.

Im Bus habe ich schnell den passenden Platz gefunden, denn in Essen war das polnische Gefährt noch spärlich besetzt. Zuerst nahm ich die Sport Bild in die Hand und traute meinen Augen nicht: was erblickte ich beim Durchstöbern auf Seite 29? Ein Interview mit Lukas Podolski und der Überschrift: 18 Stunden mit dem Bus nach Polen. Die Kollegen der Sport Bild wussten wohl, dass am 6. Juni ein völlig bekloppter RS-Redakteur die Reise zur EM mit dem Bus antreten wird.

Urin-Geruch von Beginn an der Fahrt Über Bochum, Dortmund, Hamm, Bielefeld und Hannover ging es im gefühlten Tempo von 60/kmh in Richtung polnische Grenze. Wenn jemand schon einmal, ohne Schleichwerbung zu machen, aber es muss einfach gesagt werden, mit deutschen Busunternehmen wie Job-Tours oder Grafs-Reisen gereist ist und meckert, der hat nicht mehr alle Tassen im Schrank. Oder sie oder er sollte mal eine Probefahrt mit dem Liner aus Bialystok wagen: Urin-Geruch von Beginn an der Fahrt, die Vorhänge und Sitzbezüge waren in diesem Bus garantiert schon da, als auch ich noch mit meinen Eltern in dem 500-Seelen-Dorf Sasino lebte und Kutscher Andrzej, der schon vor dem Halt in Hamm zwei, drei ganz, aber ganz, ganz brenzlige Situationen beim Fahrspurwechsel hatte.

Naja, im Endeffekt oute ich mich hier zwar als Weichei, aber ich will auch nicht weiter meckern. Denn nach 21 Stunden bin ich um Punkt 13 Uhr am Ziel in Warschau angekommen, habe die Fahrt heil überlebt, Poldis Rekord um 3 Stunden überboten und auch viel Spaß beim Lauschen der Gespräche zwischen den fünf polnischen EM-Experten auf den hintersten Plätzen des Busses gehabt. "Skandal-EM, Streiks, Schlägereien, Alkohol-Eskapaden, Gruppen-Aus, Blamage", das waren die Themen des Quintetts und sie waren sich meist auch einig.

Mal schauen, ob ich in den nächsten Tagen diese Negativstimmung in meinem Tagebuch bestätigen kann. Ich hoffe nicht. Denn als Deutscher mit einem polnischen Herz glaube ich fest an einen polnischen Auftaktsieg und den Startschuss für ein polnisches Sommermärchen. Das ist meine Hoffnung, was ich jedoch definitiv weiß, ist, dass ich die Rückreise nicht mit dem Bus antreten werde.

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