Zeitspiel statt Schnellschuss: Der deutsche Profifußball hat eine Entscheidung im heftig geführten Streit um die 50+1-Regel auf die lange Bank geschoben und mit diesem Politiker-Kniff die explosive Lage zumindest vorerst entschärft. Bei ihrem Treffen am Mittwoch in Frankfurt/Main einigten sich die Bosse der 36 Profiklubs darauf, dass das Präsidium der Deutschen Fußball Liga (DFL) erst einmal die Lage sondieren soll.
„Vorgesehen ist, dass das DFL-Präsidium im nächsten Schritt zu der vorläufigen Einschätzung des Bundeskartellamts schriftlich gegenüber der Behörde Stellung nimmt“, hieß es von der DFL: „Ziel ist es, kartellrechtskonforme Lösungsansätze zu entwickeln, die im Interesse aller 36 Klubs der Bundesliga und 2. Bundesliga sind.“
Damit ist klar, dass die DFL trotz der unterschiedlichen Interessenlagen innerhalb der Liga weiterhin eine einvernehmliche Lösung anstrebt. Wie die aussehen soll, bleibt allerdings offen. Der große Knall zwischen Befürwortern und Gegnern der Investorenregel sowie mögliche juristische Auseinandersetzungen sollen aber in jedem Fall vermieden werden.
Vor dem Treffen hatte sich Unheil zusammengebraut. „Ich rate allen Seiten zur Beweglichkeit“, mahnte Vorstandssprecher Axel Hellmann von Eintracht Frankfurt: „Bekommen wir keine einvernehmliche Lösung hin, steht die Liga vor einer Zerreißprobe.“ Dessen war sich auch Christian Seifert bewusst. Deshalb hatte der scheidende DFL-Boss zuletzt Gespräche mit den Chefetagen von Bayer Leverkusen, dem VfL Wolfsburg und der TSG Hoffenheim geführt.
Dass es vor allem um die drei Klubs und zum Teil auch RB Leipzig geht, hat die DFL dem Kartellamt zu verdanken. Die Behörde war zuletzt zu dem Schluss gekommen, dass das Prinzip der 50+1-Regel kartellrechtlich grundsätzlich unbedenklich ist. Zweifel äußerte das Amt aber an den Ausnahmen für die drei Vereine.
Das Trio wiederum will seine Sonderrechte behalten, eine Klage gegen 50+1 als letzter Ausweg steht nach wie vor im Raum - was bei einem Erfolg vor Gericht zum kompletten Wegfall der Regel, massiven Verwerfungen bei den Vereinen und einem Fan-Aufstand führen würde.
Vor dem Treffen der Profiklubs hatte das Bündnis ProFans zum Festhalten an 50+1 aufgerufen. „Die 50+1-Regel ist die letzte Bastion, die die demokratischen Mitbestimmungsrechte der Vereinsmitglieder bewahrt und die verhindert, dass allein die wirtschaftlichen Interessen von Investoren über das Schicksal der Lizenzmannschaften entscheiden“, sagte ProFans-Sprecher Jörn Brauer.
50+1 soll den Einfluss von Investoren begrenzen und den vereinsgeprägten Charakter erhalten. Demnach muss die Mehrheit der Stimmrechte stets beim Klub liegen. Für Leverkusen, Wolfsburg und Hoffenheim gilt eine Ausnahmeregel, weil ihre Investoren seit mehr als 20 Jahren aktiv sind. Dass die Geldgeber in der Vergangenheit mehrmals die Verluste der Klubs ausgeglichen haben, sehen Kritiker als Wettbewerbsverzerrung.
So hatte der Mutterverein des Zweitligisten Hannover 96 die offene Konfrontation mit den drei Ausnahmeklubs gesucht. In einem offenen Brief forderten die Niedersachsen, die für die drei Vereine „geltenden Wettbewerbsvorteile unverzüglich zu beseitigen“. Die mögliche Klage des Trios wurde von Hannover als „unverhohlene Drohung“ bezeichnet.
Schon zuvor hatten sich zahlreiche Klubs wie Borussia Dortmund und der 1. FC Köln hinter 50+1 gestellt. „In meiner Amtszeit haben wir beim BVB nie auch nur eine Sekunde über die Abschaffung von 50+1 diskutiert und haben nicht vor, daran etwas zu ändern“, sagte BVB-Präsident und Ex-Ligachef Reinhard Rauball.
Zuletzt stand 50+1 nach langwierigen Debatten vor über drei Jahren im Mittelpunkt. Im März 2018 stimmten 18 Klubs in einer viel beachteten Grundsatzentscheidung für den Erhalt der Regel, vier Vereine waren dagegen, der Rest enthielt sich. Schon damals war nach dem differenzierten Votum klar, dass die Streitfrage nicht endgültig vom Tisch sein wird. sid