Selbst an seinem 75. Geburtstag hat Udo Lattek kaum Zeit zum Feiern. Im kleinen Kreis begeht er heute seinen Ehrentag, am Sonntagvormittag ist er als DSF-Experte beim "Doppelpass" schon wieder wie gewohnt im TV-Einsatz. "Anschließend wollen sie mir noch vom DSF eine eigene Sendung zu meinem Geburtstag mit einigen Überraschungsgästen widmen", sagt der einstige Erfolgstrainer im Interview mit dem Sport-Informations-Dienst (SID).
Der gebürtige Ostpreuße, der in seiner Karriere als Fuballlehrer 14 Titel errang und als einer der wenigen Trainer alle drei Europacup-Wettbewerbe für sich entscheiden konnte, empfindet rückblickend große Dankbarkeit: "Ich habe dem Fußball alles zu verdanken. Ich bin aus dem Nichts gekommen, ich bin ein Bauernsohn. Außer dem, was ich kann, habe ich nichts mitgebracht."
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Der studierte Pädagoge schaffte über den Posten als Assistent des Bundestrainers Helmut Schön beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) als Quereinsteiger den Sprung in den Profi-Fußball. Als Nachfolger von Branko Zebec landete er auf Vermittlung von "Kaiser" Franz Beckenbauer bei Bayern München, holte 1972 die erste deutsche Meisterschaft in seiner Laufbahn. Für den "Hans Albers des deutschen Fußballs" war dieser erste Meisterschaftstriumph der schönste in den mehr als drei Jahrzehnten Trainertätigkeit. Dabei folgte Anfang der 80er Jahre das Abenteuer beim FC Barcelona mit den Starspielern Diego Maradona und Bernd Schuster. Das Engagement beim katalanischen Renommierklub half Lattek damals, seinen privaten Schicksalsschlag zu verkraften. Sein Sohn Dirk war 1981 im Alter von 15 Jahren an Leukämie gestorben. Der Coach verließ seinen Arbeitgeber Borussia Dortmund, bat BVB-Präsident Reinhard Rauball um die vorzeitige Freigabe.
Lattek: "Ich brauchte eine neue Aufgabe, Barcelona war schon damals der schwierigste Klub, der mich 24 Stunden am Tag gefordert und dadurch auch abgelenkt hat. Ich musste außerdem eine neue Sprache lernen, habe das in drei Monaten geschafft, brauchte nie einen Dolmetscher und habe beim ersten Training in Camp Nou vor 45. 000 Zuschauern eine kleine Rede in Spanisch gehalten." Fußball war für den trinkfesten Lattek auch so etwas wie eine Therapie, um das Geschehene zu verarbeiten.
Immerhin 19 Monate stand er in Diensten von "Barca", überwarf sich dann aber mit Argentiniens Fußball-Genie Maradona und musste gehen. "Hintergrund war die Abfahrt zu einem Abschlusstraining. Alle waren da, nur Diego nicht. Ich bin abgefahren, habe ihn stehen lassen. Daraufhin ist Maradona zum Präsidenten und hat ihm erklärt, dass er mit mir nicht zusammenarbeiten könne und er lieber seinen Landsmann Cesar Luis Menotti haben möchte." Lattek kehrte zum FC Bayern zurück, feierte erneut große Erfolge, allerdings blieb ihm die Krönung mit dem erneuten Triumph im Europapokal der Landesmeister im Endspiel in Wien gegen den FC Porto (1:2) versagt. "Ich habe der Mannschaft in der Halbzeit in der Kabine gesagt, dass das Spiel noch nicht entschieden ist. Aber die alten Hasen meinten, sie könnten das Spiel über die Runden schaukeln. Deshalb ist es schiefgegangen", sagt Lattek, der vielleicht als erster Bundesliga-Trainer zum Medienstar avancierte.
Der gewiefte Taktiker, der immer das offene Wort im Umgang mit seinen Star-Spielern bevorzugte, wusste von Anfang an, auf der Klaviatur der Medien zu spielen. Ein Fehler war dann dennoch sein Einstieg als Sportdirektor beim 1. FC Köln, wo er immerhin durch seinen blauen Pullover als Glücksbringer für Furore sorgte. Von einem verlorenen Machtkampf mit dem damaligen FC-Coach Christoph Daum will Lattek aber nichts wissen: "Es gab nur einen Chef, und das war ich. Christoph hat dann kolportiert, er habe den Machtkampf gewonnen. Aber der war für mich gar kein Gegner."
Geschichte schrieb Lattek im Jahr 2000, als er Borussia Dortmund mit einem Kurz-Comeback zum Klassenerhalt führte und sich fürstlich von den Schwarz-Gelben für seine Rolle als Retter entlohnen ließ. "Es war ein kalkulierbares Risiko, denn Dortmund war einfach zu gut besetzt", sagt Lattek rückblickend. Der drohende Abstieg schreckte ihn nicht: "Ein bisschen Risiko ist immer mit dabei. Wichtig war mir, dass ich den Job nur gemeinsam mit Matthias Sammer übernommen habe."