Wir verfolgten das rot-weisse Spektakel bis in die tiefen Morgenstunden. Nur zehn Monate nach dem größten Rückschlag in der Geschichte des Vereins verwandelte sich die altehrwürdige Hafenstraße am Freitagabend in einen kollektiven Freudentaumel. Über 2000 Fans warteten zu später Stunde am Stadion auf die frischgebackenen Aufsteiger, die bei ihrer Ankunft gegen Mitternacht von einem sehenswerten Feuerwerk empfangen wurden. Mannschaftskapitän Timo Brauer zeigte sich wie seine Kollegen begeistert vom Enthusiasmus der Essener Anhänger: „Diese Fans sind einfach unglaublich. Über so einen Zuschauerzuspruch würde sich so mancher Zweitligist freuen. Wir sind sehr glücklich, dass wir ihnen nach den Vorkommnissen im vergangenen Sommer den Aufstieg schenken konnten“, sagte Brauer, der eine klare Ansage für das Team parat hatte: „Heute wird niemand verfrüht nach Hause gehen. So etwas erlebt man nicht alle Tage“.
Osttribüne als Party-Balkon
In der Folge wurde die Ost-Tribüne kurzerhand zum Party-Balkon umfunktioniert. Von diesem präsentierten sich die Spieler im Stil von Bayern München. Einzig auf die Rede des Trainers wurde vergeblich gewartet. Dafür sorgte Kultfan Lothar Dohr für ein Highlight, da er sich nach zahlreichen Aufforderungen zu einem Comeback „an der Stange“ überreden ließ. Dabei zeigte der Altmeister seinen Nachfolgern, wer die durchdringendste Stimme in Essen hat. Seine berühmte Frage nach dem Schreck vom Niederrhein dürfte für zahlreiche schlaflose Nächte in Bergeborbeck gesorgt haben: „Ich wusste gar nicht, dass ich noch so laut schreien kann. Trotzdem ist das eine einmalige Sache gewesen. Dauerhaft kann ich das meinen Stimmbändern nicht mehr antun“, erklärte Dohr. Der Fanbeauftragte der Rot-Weissen gab unterdessen einen weiteren Feier-Termin bekannt. Nach dem letzten Spieltag daheim gegen Fortuna Köln wird es die offizielle Aufstiegssause geben: „Da werden wir nochmal ordentlich was auf die Beine stellen. Ich schätze auch dann auf über 10.000 Zuschauer.“
Zuvor galt es den hohen Erwartungen an die laufende Fete gerecht zu werden. Nach einer Stunde voller Fangesänge, La-Ola-Wellen und Humba-Prozeduren wurde das Geschehen in die vereinseigene Gaststätte verlagert. Dr. Michael Welling vergaß beim Ortswechsel nicht das verbrauchte Leergut einzusammeln: „Noch müssen wir ja finanziell etwas tun“, flachste der erste Vorsitzende des Vereins, der einer der Aktivposten im Laufe der Nacht war. Dies galt auch für den sonst so ruhig wirkenden Trainer Waldemar Wrobel, dem die Erleichterung über den vorzeitigen Sprung in die vierte Liga deutlich anzumerken war. Der Übungsleiter hatte große Freude im Kreise seiner jungen Truppe. Von den Qualitäten seiner Schützlinge am Tresen war Wrobel im Gegensatz zum Sportlichen jedoch nicht gänzlich überzeugt: „Ich denke unser Sportlicher Leiter und unsere Betreuer haben den Jungs in dieser Beziehung noch einiges voraus.“
Alex Thamm als Rampensau
Dies versuchten in erster Linie Timo Brauer und Alexander Thamm zu widerlegen. Speziell der Abwehrhühne avancierte zur „Rampensau“ und hatte die Lacher dank einer auffälligen Perücke auf seiner Seite. Ebenfalls für Aufsehen sorgte Mannschaftsbetreuer Marcel Müller, der mit achtbaren Disco-Fox-Qualitäten zu Gefallen wusste. Das feuchtfröhliche Treiben an der Hafenstraße nahm erst gegen sechs Uhr morgens ein Ende. Die meisten Spieler mussten ihrer Müdigkeit Tribut zollen und bevorzugten statt einer Heimfahrt die Turnhalle am Vereinsgelände als Schlafplatz. Am Ende blieben für alle Beteiligten ausnahmslos positive Gesamteindrücke. Der Aufstieg war Balsam für die zuletzt arg gebeutelten Seelen der Essener Fußballfreunde.