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Frauenboxen: Olivia Luczak ist deutsche und polnische Meisterin
„Polen ist mehr als einen Schritt voraus“

 Frauenboxen: Olivia Luczak ist deutsche und polnische Meisterin
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Erst mit 21 Jahren fing sie gegen den Widerstand ihrer Mutter an zu boxen. Sechs Jahre später ist Olivia Luczak deutsche und polnische Meisterin im Amateurboxen. Weil die Wuppertalerin, die momentan nebenbei noch an ihrer Diplomarbeit im Studiengang Sicherheitstechnik schreibt, beide Staatsangehörigkeiten besitzt, ist das möglich.

Für die Nationalmannschaft musste sich die Weltranglistensechste im Halbmittelgewicht dagegen entscheiden. Warum sie für Polen startet und dennoch emotional immer zwischen beiden Ländern steht, erklärt die Seelenverwandte von Lukas Podolski im RS-Interview. Olivia Luczak, wie wird man deutsche und polnische Meisterin? Ich besitze wie Lukas beide Staatsangehörigkeiten. Deshalb bin ich in beiden Ländern startberechtigt. Ich habe jetzt viermal an den deutschen Meisterschaften teilgenommen. In den Jahren 2004 und 2005 wurde ich jeweils Dritte, 2006 und 2007 habe ich gewonnen. Und 2008 habe ich mir im dritten Anlauf in Grudziadz zum ersten Mal auch den polnischen Meistertitel erboxt. National sind Sie also in beiden Ringecken zu Hause. International starten Sie für Polen, warum? Bei den Nationalkadern musste ich mich für ein Land entscheiden. Die Deutschen hatten mich zuvor auch gefragt. Aber der Frauenboxsport in Deutschland ist im Amateurbereich nicht gut organisiert. Es gab dort nicht einmal einen Rahmenplan. Den brauchte ich aber für mein Studium, um beides unter einen Hut zu bekommen. Die Polen sind da professioneller aufgestellt. Dort wird fast das ganze Jahr durchtrainiert. Dort kann ich mich besser entwickeln. Also eher eine Entscheidung der Vernunft als eine des Herzens? Zu Beginn war das so. Aber jetzt bin ich froh, dass ich mich für Polen entschieden habe. Ich bezeichne mich zwar immer als halbe Polin und halbe Deutsche, aber mein Herz hängt doch mehr an Polen. Dort habe ich meine Wurzeln. Meine Eltern sind aus Polen nach Deutschland gekommen, als meine Mutter mit mir schwanger war. Mein Vater ist dorthin wieder zurückgegangen. Bis auf meine Mutter und mein Bruder leben alle Verwanden dort. Deshalb bin ich schon stolz darauf, dieses Land repräsentieren zu dürfen. Auch wenn ich viel besser deutsch als polnisch spreche.

Podolski, der sich in einer ähnlichen Situation befindet, hat mit seiner stillen Geste im Trikot der deutschen Nationalmannschaft nach dem Torjubel gegen Polen für Aufsehen gesorgt. Wie haben Sie die Szene empfunden? Ich fand die Reaktion richtig reif und klasse. Ich kann das gut nachvollziehen. Das ist schon eine konfliktreiche Situation. Wenn ich zum Beispiel bei internationalen Turnieren bin und die deutschen Mädchen auch da sind, gucken beide Seiten immer irgendwie schief. Ich fühle mich dann, als ob ich zwischen den Stühlen sitze. Die Deutschen können das dann nicht verstehen, dass ich für Polen starte. Und die Polen, wenn ich mich auch zu den Deutschen hingezogen fühle und viel mit den deutschen Mädels rede. Bei Poldi war das ja etwas anders. Er wollte auch für Polen spielen, aber die haben ihn abgelehnt. Sind sie selbst schuld, dass sie ihn nicht genommen haben.

Was läuft im Nachbarland gut, was im deutschen Boxsport schief läuft? Ein ganz einfaches Beispiel. Durch meinen Vize-Europameistertitel im Herbst letzten Jahres im dänischen Vejle hatte ich das Glück, ein Stipendium durch den polnischen Boxverband zu bekommen. Danach konnte ich aufhören, neben dem Training und dem Studium auch noch als studentische Aushilfskraft zu arbeiten, und kann mich seitdem noch mehr auf den Sport konzentrieren. Das wäre im deutschen Verband nicht möglich gewesen. Dort gibt es eine vergleichbare Förderung nicht. Ich war im Juni in Istanbul zu dem größten Boxturnier der Welt, dem Ahmet Cömert Cup. Die deutschen Mädchen mussten den Flug und den gesamten Aufenthalt dort selbst bezahlen. Die sind deshalb sogar ohne Trainer in die Türkei gereist. Das ist total traurig. Es gibt in Deutschland ein großes Potenzial, aber das wird nicht unterstützt. Im Profibereich ist Deutschland ziemlich weit. Aber im Amateurbereich ist Polen mehr als nur einen Schritt voraus. Sie haben erst mit 21 Jahren angefangen zu boxen. Wie sind Sie überhaupt zum Boxsport gekommen? Ich habe eigentlich nur angefangen, um meine Fitness zu verbessern. Bis dann mein Trainer gesagt hat, ich müsse unbedingt auch kämpfen. Nach drei Monaten Training habe ich dann meinen ersten Kampf absolviert. Den habe ich zwar gewonnen. Aber der war konditionell dermaßen anstrengend, dass ich zu meinem Trainer gesagt habe, ich mache das nicht weiter. Er hat mich dann einfach trotzdem zu weiteren Kämpfen angemeldet. Die nächsten beiden Fights habe ich dann verloren. Nach dem zweiten verlorenen Kampf war mein Ehrgeiz geweckt. Und dann habe ich richtig angefangen zu trainieren. Die Motivation kam also durch die Niederlagen.

Wie hat Ihr Umfeld auf die ungewöhnliche Sportart reagiert, die trotz der Inszenierungen von Regina Halmich und Ina Menzer noch nicht gänzlich akzeptiert ist? Die haben das alle zunächst gar nicht ernst genommen. Auf der Arbeit oder im Bekanntenkreis gab es da schon mal den einen oder anderen Flachs. Meine Mutter war am Anfang sogar total dagegen, dass ich mich prügeln gehe, wie sie immer sagt. Aber ich war ja schon 21 Jahre alt und somit konnte sie nicht wirklich mehr etwas dagegen unternehmen. Mit zunehmendem Erfolg hat sich das auch ganz gelegt. Jetzt ist sie mein größter Fan. Wann wird Profiboxen ein Thema für Sie? Anfragen für ein Sparring gab es bereits. Aber bislang habe ich das noch abgelehnt. Ich mache meine Entscheidung davon abhängig, ob das Frauenboxen 2012 olympisch wird. Die Entscheidung darüber soll im Sommer bei den diesjährigen Spielen in China fallen. Wenn es so kommt, wovon ich ausgehe, dann werde ich wohl eher nicht zu einem Profi-Boxstall wechseln. Denn es ist mein ganz großer Traum, einmal bei einer Olympiade starten zu können. Und wenn nicht? Dann könnte ich mir einen Wechsel schon vorstellen. Denn im Jahr 2016 wäre ich definitiv zu alt für eine Olympiade. In vier Jahren möchte ich aufhören und mich mehr um meinen Beruf kümmern. Sollte ich wechseln, kommen aber für mich sowieso nur die zwei großen Boxställe Universum und Sauerland in Frage. Und ich würde das auch nur dann akzeptieren, wenn ich meinen Trainer Monsif Gammodi von der Boxing-Sport-Union Wuppertal mitnehmen kann. Er kennt mich wie kein zweiter und ist für mich der beste Trainer der Welt. Und ob die Ställe das akzeptieren, weiß ich nicht. Wie oft trainieren Sie? Drei bis viermal am Tag. Auch wenn es noch nicht die Olympiade ist. Nach China kommen Sie in diesem Jahr trotzdem. Im November finden dort in Ngbo die Weltmeisterschaften im Amateurboxen der Frauen statt. Was rechnen Sie sich dort aus? Ich bin mittlerweile die Nummer vier in Europa und in der aktuellen Rangliste unter den besten sechs Boxerinnen der Welt. Beim Ahmet Cömert Cup habe den dritten Platz belegt. Also ist es nicht unmöglich, bei der WM eine Medaille zu holen. Das wäre der nächste große Sprung.

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Foto: firo.
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