Der frühere Weltklasse-Schiedsrichter Pierluigi Collina ist Chef der Schiedsrichter im Fußball-EM-Gastgeberland Ukraine. Der 51-Jährige, der 2002 das WM-Finale zwischen Brasilien und Deutschland in Yokohama (2:0) leitete und sechsmal die Abstimmung zum Weltschiedsrichter des Jahres gewann, lobt im SID-Interview die Bundesliga und hebt die Notwendigkeit hervor, Referees immer mehr "zu wahren Athleten" auszubilden.
Herr Collina, Sie bilden die Schiedsrichter im EM-Gastgeberland Ukraine aus. Was halten Sie generell von den EM-Vorbereitungen?
Die Ukraine hat mit dem Auftrag für die Austragung der EM eine große Chance erhalten und hat auch viel unternommen, um sich den Anforderungen für die EM-Organisation anzupassen. Vieles wird das Land noch in den nächsten Monaten tun. Der Fußball wird immer globaler, die Grenzen haben sich ausgedehnt, und das ist meiner Ansicht nach positiv.
Die bereits im Europacup erprobten Torrichter sollen bei der EURO 2012 in Polen und der Ukraine zum Einsatz kommen. Was denken Sie darüber?
Der bei Regelfragen zuständige International Football Association Board der FIFA wird Anfang März entscheiden, ob die Torrichter bei der EM eingesetzt werden sollen. Wir haben die Torrichter im Europacup ausprobiert und dabei interessante Resultate erhalten. Daher hat die UEFA beim IFAB beantragt, dass die Torrichter bei der Endrunde der Europameisterschaft 2012 eingesetzt werden dürfen.
Sie setzen auf die Notwendigkeit eines individuellen Trainings für jeden einzelnen Schiedsrichter. Warum?
Unser Ziel ist, nicht nur Schiedsrichter, sondern wahre Athleten auszubilden. Im heutigen Fußball genügt es nicht mehr, die Regeln des Fußballs zu kennen und sie richtig anzuwenden. Der Schiedsrichter muss optimal trainiert sein. Die Spielgeschwindigkeit ist im Fußball in den letzten Jahren enorm gewachsen. Wenn der Referee nicht genug trainiert ist, wenn er müde ist, begeht er mehr Fehler. Die athletische Komponente wird für die heutigen Referees immer wichtiger.
Sie berücksichtigen immer mehr auch persönliche Eigenschaften des Referees, nicht wahr...
Ja, Studien spanischer Experten über die Sehfähigkeit haben ergeben, dass das laterale Sehfeld von Person zu Person sehr unterschiedlich sein kann. Daher ist es wichtig, das Training an die Eigenschaften des Referees anzupassen.
Was muss ein guter Referee noch mitbringen?
Wichtig sind gute Kenntnisse über die Mannschaften, die zum Einsatz kommen. Je besser man die Eigenschaften der Spieler und der Mannschaft kennt, desto besser kann man die Entwicklungen auf dem Spielfeld vorhersehen.
Was denken Sie über die deutsche Bundesliga?
An der Bundesliga beeindruckt mich das positive Klima und die Stadien voller begeisterter Fans. Am Wochenende habe ich das Spiel 1. FC Köln gegen Bayern München verfolgt. Es war ein spannendes Match mit vielen Toren.
Kann man noch von einer Fußballkultur in den einzelnen europäischen Ländern sprechen?
Die Unterschiede zwischen den europäischen Meisterschaften haben sich in den letzten Jahren geringer geworden. Derzeit gibt es eine derart große Zahl von Spielertransfers, dass die Meisterschaften in den einzelnen Ländern ihre typischen Eigenschaften zum Teil verloren haben. Es gibt heute geringere Unterschiede im europäischen Fußball.