Die 4500 Fans im Stadion An der Alten Försterei sangen beseelt von ihrer Liebe zu Union Berlin, Gerüche von Bratwurst und Bier mischten sich in der Luft - und der Präsident bekam Gänsehaut. „Wir haben heute den Beweis angetreten, dass es im kleinsten Bundesliga-Stadion geht“, sagte Klubchef Dirk Zingler nach dem Testspiel gegen den 1. FC Nürnberg (2:1) am Samstag, das die Rückkehr des Publikums im deutschen Spitzenfußball einläutete. Die Diskussionen sind zwei Wochen vor Ligastart dennoch keineswegs vorbei.
Von „Wettbewerbsverzerrung“ sprachen in der vergangenen Woche sowohl Bayerns Ministerpräsident Markus Söder als auch Nordrhein-Westfalens Landesvater Armin Laschet, da das Zuschauer-Comeback in jedem der 16 Bundesländer ganz unterschiedlich abläuft. Und auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mahnte am Samstag: „Für die Akzeptanz wäre ein einheitliches Vorgehen besser.“ Das soll es nun bis Ende Oktober geben. Spahn hoffe nur, „alle sind sich bewusst - sowohl diejenigen, die es genehmigen, wie auch diejenigen, die es durchführen - dass Infektionsrisiken minimiert bleiben.“
Im Wirrwarr den Überblick zu behalten, ist nicht leicht. In Berlin dürfen schon bis zu 5000 Menschen in die Stadien, RB Leipzig will zum Beginn der Liga 8500, und Schalke 04 testete am Samstag gegen den VfL Bochum vor nur 300 Fans. Von der gemeinsamen Linie, welche die Politik beim Bund-Länder-Gipfel vor rund zwei Wochen beschlossen hatte, sind die Klubs aktuell weit entfernt. Beschwerden aus dem Fußball lassen sich aber kaum vernehmen, nachdem die Deutsche Fußball Liga (DFL) bei der Mitgliederversammlung am Donnerstag in Person von Geschäftsführer Christian Seifert das Problem der Wettbewerbsverzerrung nicht sah.
Leichte Misstöne gibt es trotzdem. So hatte Borussia Mönchengladbachs Sportdirektor Max Eberl die beim Thema Fan-Rückkehr sehr offensiven Köpenicker vor rund zwei Wochen direkt kritisiert. „Ich würde mich freuen, wenn wir uns jetzt nicht ständig positionieren würden und besser dastehen wollen als andere, sondern uns lieber solidarisch als Bundesliga versuchen vorzubereiten“, so Eberl. Zingler reagierte darauf am Samstag angesäuert: „Meistens werden wir ja von den Menschen kritisiert, die selber nichts tun - außer Pappkameraden aufstellen.“ Gladbach hatte sein Stadion in der Coronazeit mit Fan-Aufstellern bestückt.
Ein Wettbewerbsproblem, so Zingler, habe der Fußball jedenfalls nicht. „Wir haben ein gesellschaftliches Problem, dass Menschen endlich wieder Menschen und soziale Kontakte brauchen - im Rahmen des Infektionsschutzes.“ Dafür will Union anderen Vereinen ein Vorbild sein. So wünsche er sich, „dass an anderen Bundesliga-Standorten, an denen viel mehr Platz ist, wo Hygienemaßnahmen durchaus möglich sind, dass es dort auch möglich wäre.“
Laut der Einschätzung des zuständigen Gesundheitsamtes Treptow-Köpenick sei Union das Pilot-Projekt an diesem Wochenende gut gelungen. Wie Hygienereferent Denis Hedeler urteilte, habe der Verein „die hygienerelevanten Vorgaben hervorragend umgesetzt“. Er sei „besonders beeindruckt“ von den Fans, „die die notwendigen Maßnahmen annehmen und die Hygieneregeln einhalten“. Für sie bestand Maskenpflicht im Stadion, bis sie an ihren auf der personalisierten Eintrittskarte vermerkten Plätzen angekommen waren.
Ähnlich will Union auch zum Bundesliga-Auftakt am 19. September (15.30 Uhr/Sky) gegen den FC Augsburg vorgehen, wenn wieder bis zu 5000 Menschen in die normalerweise 22.012 Zuschauer fassende Alte Försterei kommen sollen. Das könnte zur Herausforderung werden, da nur 3.617 Sitzplätze vorhanden sind und Stehränge bei Bundesliga-Spielen bis Ende Oktober von der DFL verboten wurden. Zingler wolle jene jedoch „nicht kampflos hergeben“. sid