Mit dem EM-Ball in den Händen träumte sich Manuel Neuer schon an den Abend des 14. Juli. Da mochten Marc-Andre ter Stegen und drei andere Torhüter am Frankfurter DFB-Campus gewissenhaft zwischen den Pfosten umherfliegen - die Bilder und sehr forschen Töne des Tages lieferte die langjährige Nummer eins vor dem Berliner Olympiastadion.
„Ich möchte in diesem Stadion hinter mir spielen, weil dort das Finale stattfindet“, sagte Neuer am grauen Mittwochmorgen bei der Präsentation des Turnierballs „Fußballliebe“. Der ewige Stellvertreter ter Stegen wird das Tor der deutschen Nationalmannschaft keinesfalls kampflos räumen, Neuer will mit aller Macht wieder hinein: Auf Bundestrainer Julian Nagelsmann rollt ein Problem der Dimension Oliver Kahn gegen Jens Lehmann zu.
Noch fehlt Neuer, der das Kapitänsamt an Ilkay Gündogan verloren hat, in Absprache mit Nagelsmann bei den Länderspielen gegen die Türkei am Samstag (20.45 Uhr/RTL) und in Österreich am Dienstag. Für das März-Fenster aber kündigt er sich mit hohen Ambitionen an. „Es war eine schwierige und harte Herausforderung für mich zurückzukommen - und ich bin auf meinem Weg noch nicht am Ende“, sagte der 37-Jährige.
So klingt niemand, der sich im Sommer bereitwillig auf die Bank setzt und den Stammspielern die Trinkflaschen auf den Platz reicht. Im Gegenteil. Er versprach, bis Weihnachten den Bayern-Rhythmus zu halten und im Januar knallhart an seiner Fitness zu arbeiten: „Damit es klappt.“ Mit dem Frühjahr. Mit der EM: „Das ist mein großes Ziel.“
Die Spielführerbinde ist nach seiner fatalen Verletzung während einer Ski-Tour dauerhaft weg, das hat der Bundestrainer bereits unmissverständlich klargestellt. Die Nummer eins hingegen scheint Neuer („Ich werde antreten, um zu spielen“) eher als Leihgabe zu sehen - er wird ter Stegen offen herausfordern.
Der ist ebenfalls ein hervorragender Torhüter und überdies sechs Jahre jünger, hätte also mehr Zukunft. Andererseits haben sich bei ihm wieder Wackler eingeschlichen, parallel zu Manuel Neuers Rückkehr ins Tor des Münchner Rekordmeisters im Oktober. Der Druck steigt.
Neuer hat ihn am Mittwoch weiter erhöht, obwohl er gar nicht bei der Nationalmannschaft ist. Der komplizierte Unterschenkelbruch gibt ihm eine gewisse Lockerheit: Schließlich hätte seine Karriere an diesem Tag auf der Abfahrt von seinem Hausberg am Tegernsee auch enden können. „Ich bin froh, dass ich überhaupt wieder Fußball spielen kann“, sagt er. Dadurch sei, wie auch sein Vereinstrainer Thomas Tuchel bemerkte, jedes Spiel eine „absolute Belohnung“.
Bei der Heim-EM möchte Neuer dann mit der Nationalmannschaft „positive Emotionen“ im ganzen Land wecken „und diese Energie nutzen, um das große Ziel zu erreichen“. Auch sein persönliches. Der EM-Pokal fehlt Neuer noch in seiner Trophäensammlung.
Philipp Lahm verlieh ihm auf dem Weg dorthin neuen Schwung. „Manuel“, sagte der Turnierdirektor vor dem Finalstadion, „ist ein unglaublicher Torwart.“