Vor einem Jahr voller Erwartungen und Titeldruck hat Bundestrainer Joachim Löw die Weihnachtstage im Kreis der Familie zum Krafttanken genutzt. "Der Großteil der Familie ist beisammen, und das genießen wir sehr. Für mich bedeutet dieser private Kreis Ruhe und Zufriedenheit", sagte der 51-Jährige der Frankfurter Rundschau.
Gut fünf Monate vor dem Start der EM in Polen und der Ukraine befinde sich die DFB-Elf auf einem guten Weg. Der Teamgeist sei der entscheidende Erfolgsfaktor der jüngsten Entwicklung. "Ich sehe bei uns in den letzten Monaten ein extrem gutes Team, in dem niemand nur sich in den Vordergrund spielen will", sagte der 51-Jährige der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ): "Teamgeist steht für mich über allem."
Der Debatte um angeblich fehlende Führungsspieler in der Nationalelf steht Löw gelassen gegenüber. Die Spielertypen hätten sich geändert, "Spieler wie Lahm, Schweinsteiger, Klose und Mertesacker oder auch junge Spieler wie Neuer und Khedira, die übernehmen Verantwortung auf dem Platz", so Löw. Zudem müssen gute Spieler auch bescheidene Spieler sein: "Spieler, die am Boden bleiben."
Löw sieht die Ausgewogenheit bei den Temperamenten in seinem Team gewahrt. "Ich sehe keinen ausgesprochenen Egoisten in unserer Mannschaft; der seine ganze Konzentration darauf abstimmt, selber gut auszusehen oder immer selbst die Tore zu machen", sagte der DFB-Coach. Als Trainer müsse man erkennen, wieviel Egoismus eine Mannschaft vertragen könne.
Löw räumte ein, dass der Leistungsdruck heutzutage für ihn als Trainer, aber auch für die Spieler enorm gestiegen sei. Gerade junge Leute hätten es oft schwer, damit umzugehen, nach guten Leistungen im Fokus der Öffentlichkeit zu stehen.
Löw selbst profitiere enorm davon, Arbeit abzugeben. "Es gibt Menschen, die mir Energie geben, wenn ich mich schwach fühle. Meine engsten Mitarbeiter im Trainerteam kennen alle meine Stärken und Schwächen. Früher habe ich geglaubt, immer alles selbst können und machen zu müssen. Inzwischen habe ich gelernt, Verantwortung zu delegieren", sagte Löw. Einige Mitarbeiter seien in manchen Bereichen besser als er. "Denen vertraue ich."
Auch könne er mittlerweile seinen Mitarbeitern gegenüber Schwächen offenbaren. Er sei dann froh, dass er Leute um sich habe, die ihm Input geben. So wie drei Wochen nach der WM 2010 in Südafrika, als sein Assistent Hansi Flick vor dem Spiel gegen Dänemark zur Spielvorbereitung mahnte, während Löw noch grübelte, ob das Länderspiel überhaupt Sinn mache.
Wie Löw verriet, gebe es nach Turnieren auch Phasen, in denen er eine gewisse Fußball-Müdigkeit verspüre. Da falle man manchmal aus dem Gleichgewicht. Ralf Rangnick habe das erlebt. "Dass ein Trainer wie Rangnick, der nicht mehr schläft, nicht mehr isst, irgendwann sagt, jetzt ist gut, ich bin nicht mehr in der Lage, der Mannschaft Energie zu geben und sie mitzuziehen, das kann ich nachvollziehen", so Löw.
Es gebe auch viele Burn-outs in anderen Bereichen der Gesellschaft. Das könne damit zusammenhängen, dass man immer und überall erreichbar sei, sagte der Bundestrainer. Löw selbst habe im Laufe seiner Karriere gelernt, "das Telefon mal abzuschalten" und nicht für die Anerkennung anderer zu arbeiten.
Einen anderen Job als den des Bundestrainers wolle er derzeit nicht ausüben. Auch Präsident beim 1. FC Köln wolle er nicht werden. Seinem Kölner Spieler Lukas Podolski riet er aber zum Wechsel ins Ausland. "Vor drei, vier Jahren wäre dieser Schritt zu früh für ihn gewesen. Jetzt hat er die Reife dafür", sagte Löw dem Kölner Express.