Das Fazit nach den Paralympischen Spielen in Peking fiel aus deutscher Sicht bescheiden aus: keine Verbesserung im Vergleich zu Athen 2004. Die Leichtathleten holten immerhin fünf goldene, neun silberne und sieben bronzene Medaillen, dennoch, auch hier fehlt der große Durchbruch im internationalen Vergleich.
Dr. Ralf Otto war 14 Jahre Teamchef der deutschen Leichtathleten, war bei zig Sommerparalympics, Welt- sowie Europameisterschaften dabei und hat die Entwicklung der Athleten damit aus nächster Nähe verfolgt und gefördert. Am 1. Oktober 2008 hat Willi Gernemann das Amt des hauptberuflichen Bundestrainers übernommen.
Herr Dr. Ralf Otto, in diesem Jahr finden die Internationalen Deutschen Meisterschaften der Behinderten im Bottroper Jahnstadion statt. Was sind wichtige Kriterien für die Vergabe?
Das Stadion erfüllt die Voraussetzungen, wie zum Beispiel eine überdachte Tribüne und die Barrierefreiheit. Ein Nachteil für die Rollstuhlfahrer ist, dass es im Jahnstadion keinen Mondo-Belag gibt. Aber den gibt es in Deutschland grundsätzlich nicht, auch nicht in Berlin. Es gibt damit kein Stadion für schnelle Zeiten der Rollstuhlfahrer, das ist in der Schweiz anders. Wichtig ist natürlich auch die Infrastruktur der Stadt. Bei rund 25 Nationen muss das Stadion sehr verkehrsfreundlich liegen. Zudem muss es im Umkreis einige barrierefreie Hotels geben.
Können Sie im Vorfeld der Veranstaltung bereits einen Vergleich zum Vorjahr, als die IDM in Sindelfingen stattfand, anstellen?
Im vergangenen Jahr gab es keinen internationalen Höhepunkt und somit lag der Wettkampf auch nicht im Qualifikationszeitraum. Nun steht die WM in Neuseeland bevor. Die Trainer der Athleten sind wild auf Wettkämpfe, damit die Leistungen gebracht werden können. Die weltweit am besten besuchteste IDM fand 2008 vor den Paralympics in Peking statt. Für 2012 müssen wir den Termin von daher auch so wählen, dass er innerhalb des Qualifikationszeitraumes für London liegt. In diesem Jahr sind aber auch sehr viele Topstars am Start, allen voran Oscar Pistorius. Bis auf den Rollstuhlfahrern ist das Starterfeld vergleichbar mit den Endläufen bei den Paralympics.
Wie ist der Leistungsstand der deutschen Athleten vor der WM und den Paralympics in London? Bei der IWAS Leichtathletik-WM in Bangalore gab es bereits viele Medaillen.
Das muss man relativieren. Von den führenden zehn Nationen war in Bangalore nur Deutschland vertreten. Bis auf fünf Nachwuchstalente aus China gab es keine Konkurrenz, wenngleich die Leistung der Deutschen okay war. Ansonsten gab es bisher kaum Wettkämpfe. Bei der Hallen-DM ist kaum einer angetreten. Beim Weltcup in Manchester im Mai waren fünf/sechs Athleten am Start, die haben aber teilweise sehr gut abgeschnitten.
Auf welchem Rang befindet sich Deutschland im internationalen Vergleich?
Die Paralympics in Peking haben die Leichtathleten auf Platz acht der Nationenwertung abgeschlossen – insgesamt auf Rang elf. Wir gehören damit nicht zur ersten Garnitur, auch wenn es schon Athleten gibt, die in der Lage sind, oben mitzumischen. Die Konkurrenz wird aber immer professioneller. Wir werden nicht mehr unter die ersten Drei kommen. Auch die kleineren Nationen wie die Ukraine und Tunesien sind schon besser.
Wie sehen die Zukunftsaussichten aus?
Ich sehe zurzeit wenige Tendenzen für eine Vorwärtsentwicklung. Es wird nicht einfacher werden, gerade im Nachwuchsbereich muss mehr passieren. Insgesamt muss auch die finanzielle Unterstützung besser werden. In Deutschland kann keiner von dem Sport leben, ganz im Gegenteil zum Beispiel zu dem Südafrikaner Oscar Pistorius. Der hat allerdings auch zahlreiche Werbeverträge. In den anderen Nationen gibt es zudem mehr hauptamtliches Personal. In Deutschland haben wir lediglich einen Bundestrainer. Auch in der Öffentlichkeitsarbeit muss sich unbedingt was tun, wobei wir dort auch schon mal weiter waren. Die zeitnahen Informationen fehlen einfach.
Wenn man den Fall „Oscar Pistorius“ nimmt, der steht ja nun seit einiger Zeit stark im Fokus. Ist das insgesamt positiv oder besteht auch die Gefahr, dass der Technikaspekt zu sehr in den Vordergrund rückt?
Ich bin promovierter Biomechaniker und kenne Oscar Pistorius privat sehr gut sowie auch seinen Fall. Insgesamt ist die ganze Geschichte von Vorteil. Er stand in sämtlichen Zeitungen, auch in denen, wo zuvor nie über Behindertensport berichtet wurde. Beim Weltcup in Manchester gab es beispielsweise ebenso kein anderes Thema als Oscar Pistorius. Über die anderen Athleten wurde nichts geschrieben, die geraten neben dem Südafrikaner zu Statisten. Bei der Pressekonferenz im vergangenen Juni vor den Internationalen Meisterschaften der Behinderten in Berlin mussten wir extra in einen größeren Raum umziehen. Dort, wo wir sonst fast alleine saßen, waren auf einmal 35 Kamera-Teams. Auch wenn die große Aufmerksamkeit prinzipiell vom Vorteil ist, wäre eine Ausgeglichenheit auf alle Athleten besser.
Grundsätzlich ist die Startberechtigung für nichtbehinderte Wettkämpfe aber sicherlich zu begrüßen, oder?
Sie gilt ja nur für Oscar Pistorius und diese speziellen Prothesen. Wobei das albern ist, denn die Prothesen kann jeder im Katalog bestellen. Problematisch wird der Fall bei Oberschenkelamputierten, die nur mit Federn unterwegs sind. Ich sehe den Fall von beiden Seiten. Ich habe lange an der DSHS Köln unter Professor Gert-Peter Brüggeman gearbeitet. Er ist der Haus-Biomechaniker der IAAF. Aber auch das Gegengutachten war nicht gänzlich unabhängig. Es fanden bisher immer nur Teilmessungen statt, und keine unabhängige Untersuchen, wo wirklich alle Aspekte analysiert wurden.