Den Auftakt in die Fußball-WM in Katar hat die deutsche Nationalmannschaft verpatzt. Gegen Japan verspielte das DFB-Team in der Schlussphase eine Führung und verlor am Ende mit 1:2.
Kritik gab es danach von allen Seiten. Ex-Nationalspieler Bastian Schweinsteiger ging in seiner Rolle als TV-Experte der ARD vor allem mit Rechtsverteidiger Niklas Süle hart ins Gericht. Der Dortmunder Abwehrmann machte bei beiden Gegentreffern einen unglücklichen Eindruck.
"Wenn jemand auf einen zukommt, im Eins gegen Eins, gerade ein Außenspieler, dann lässt man den nicht nach innen laufen, sondern macht die Innenbahn zu und lässt ihn nach außen laufen, weil da kann weniger passieren", erklärte der Weltmeister von 2014 mit Blick auf Süles Rolle bei der Entstehung des 1:1. "Das ist ein klassischer, richtig schwerer Abwehrfehler." Schweinsteiger kritisierte zudem Leon Goretzka für eine mangelhafte Rückwärtsbewegung vor dem Ausgleich.
Das zweite Tor der Japaner resultierte aus einem langen japanischen Freistoß aus der eigenen Hälfte, den der beim VfL Bochum spielende Takuma Asano erlief und schließlich aus spitzem Winkel traf. "Schlotterbeck und Rüdiger wollten natürlich auf Abseits spielen, haben sie auch gut gemacht", erklärte Schweinsteiger - anders als Süle, der das Abseits aufgehoben hatte. "Süle muss das sehen, dass er da rausschieben muss. Und danach wäre vielleicht auch immer noch Zeit gewesen für ihn, reinzulaufen und vielleicht auf Asano zu gehen", sagte Schweinsteiger. "Der Fehler darf nie passieren."
Ex-Nationalspieler kritisieren Süle
Auch Ex-Nationalspieler Torsten Frings wies Süle bei der "ran WM Webshow" eine Mitschuld am Siegtreffer der Japaner zu: "Vor dem 1:2 hat er geschlafen und das Abseits aufgehoben. Als Innenverteidiger gibst du das Kommando, und als rechter Verteidiger musst du hellwach sein."
Anders als Frings und Schweinsteiger kritisierte Michael Ballack die gesamte Mannschaft: "Wir machen dafür immer Einzelne verantwortlich, aber das zieht sich durch die Mannschaft", sagte der ehemalige DFB-Kapitän bei MagentaTV. "Wir haben grundsätzlich ein großes Abstimmungsproblem und in der Verantwortung der Defensive."
Diese Defensivschwächen hat auch Ex-Nationalspieler Dietmar Hamann erkannt. Er bemängelte die Nichtnominierung von BVB-Verteidiger Mats Hummels für das Turnier. "Ein Spieler wie Hummels hätte in die Mannschaft gehört, weil er Verantwortung übernimmt, weil er Missstände anspricht, weil er Tendenzen und Entwicklungen erkennt", schrieb Hamann in seiner Sky-Kolumne.
Für die Nichtberücksichtigung von Hummels sieht der Vize-Weltmeister von 2002 nicht nur sportliche Gründe. "Man hatte sich dazu entschieden, Harmonie über alles zu stellen. Das war wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass Hummels nicht dabei ist. Aber mit einer ruhigen, harmonischen Truppe wirst du nichts gewinnen", meinte Hamann. Ihm sei das alles zu weich, zu nett und zu eintönig. "Du brauchst Reibung. Dadurch werden Reize gesetzt", schrieb der 49-Jährige.
Bundestrainer Flick hatte seinen Verzicht auf den 33-jährigen Hummels unter anderem damit begründet, dass er auch "ein bisschen die Zukunft im Blick haben" müsse. Stattdessen steht der 20 Jahre alte Armel Bella Kotchap vom FC Southampton im Kader.
Weitere Stimmen zeigten sich unzufrieden mit den Auswechslungen des Bundestrainers gegen Japan. "Ich verstehe einfach nicht, warum so viele Cheftrainer auf Teufel komm raus irgendwann einmal im Spiel unbedingt wechseln müssen. Vor allem dann, wenn das Spielgeschehen passt. Damit reiße ich doch nur das Spielgefüge auseinander", sagte Ex-Weltmeister Paul Breitner bei Münchner Merkur/tz.
Möller und Breitner verstehen Flick-Auswechslungen nicht
Es sei ihm "ein Rätsel, warum Thomas Müller und Ilkay Gündogan ausgewechselt wurden, dafür gab es doch keinen triftigen Grund", ergänzte Breitner. Er habe dafür "keinerlei Verständnis".
Welt- und Europameister Andreas Möller sieht in der Auswechslung von Gündogan den Hauptgrund für die Pleite des DFB-Teams. "Das Herz einer jeden Mannschaft ist ein kompaktes Mittelfeld. Dafür standen über eine Stunde lang Gündogan und Kimmich. Wir haben diesem Herz nach einer Stunde die Sauerstoffzufuhr verweigert", schrieb der frühere Welt- und Europameister im kicker.
Die Auswechslungen von Gündogan und Müller (jeweils 67.) "wurden zum Bumerang für Deutschland", meinte Möller. Außerdem habe der DFB-Elf die Galligkeit gefehlt: "Vorne bei der Verwertung guter Chancen, hinten in den entscheidenden Zweikampfsituationen, wo wir die früher gepriesenen 'deutschen Tugenden' vermissen ließen! Das geht nun mal überhaupt nicht bei einer Weltmeisterschaft, und schon gar nicht beim ersten Auftritt. (...) In dieser Hinsicht sind wir zu soft."
Matthäus: Nebengeräusche stören Konzentration
Deutschlands Rekordnationalspieler Lothar Matthäus glaubt derweil, dass die Konzentration der Mannschaft durch die vielen Nebengeräusche gestört wurde."„Die vielen Debatten um Menschenrechte, Spielführerbinde, dürfen die Fans ein Bier trinken oder nicht - das geht an den Spielern nicht spurlos vorbei", sagte Matthäus dem TV-Sender RTL.
Er habe das Gefühl gehabt, dass bei der 1:2-Auftaktniederlage gegen Japan"„in der zweiten Halbzeit viele Spieler blockiert waren. Zeichen setzen - ja. Aber die Spieler sind bei der WM, um Fußball zu spielen und uns auf dem Platz zu repräsentieren. Deutschland hat sehr viel diskutiert über diese Sachen und wie man Messages senden kann. Da lässt automatisch die Konzentration nach", betonte der 61-Jährige.
Im zweiten Gruppenspiel gegen Spanien am Sonntag erwartet Matthäus von der DFB-Elf eine Steigerung. "Wir müssen an die Leistungsgrenze gehen, wir müssen kompakt spielen, wir müssen selbstbewusst spielen und wir müssen vor allem die Chancen verwerten", forderte der Weltmeister von 1990. Es müsse eine Mannschaft auf dem Platz stehen, "die 90 Minuten Gas gibt".
Deutschland droht schon am Sonntag das Aus
Auch Bundestrainer Hansi Flick nahm Matthäus nach der Auftaktpleite gegen Japan in die Pflicht. "Wir haben Probleme auf einigen Positionen. Mit den Außenverteidigern bin ich gar nicht zufrieden gewesen. Da ist die Taktik des Trainers nicht aufgegangen. Es hat einiges nicht funktioniert, auch die Wechsel nicht", kritisierte er.
Nach der Auftakt-Niederlage und dem 7:0-Sieg Spaniens über Costa Rica kann ein WM-Aus Deutschlands bereits am Sonntag beim Spiel gegen Spanien (20.00 Uhr) besiegelt sein. Bereits bei der WM 2018 in Russland war Deutschland in der Vorrunde ausgeschieden. (dpa, sid, ea)