Das Trainerbeben beim FC Bayern hat Fußball-Europa erschüttert, gebannt blickt die Szene in diesen Stunden an die Säbener Straße. Dort soll Julian Nagelsmann von den Münchner Bossen sein überraschendes Aus als Trainer des deutschen Fußball-Rekordmeisters mitgeteilt werden - obwohl es längst überall in den Zeitungen und im Netz steht. Das „Langzeitprojekt“ ist nach nur 631 Tagen gescheitert, Thomas Tuchel steht als Nachfolger in den Startlöchern.
Der Coach wohnt seit ein paar Wochen wieder in München, soll am Montag einsteigen und ist der logische Nachfolger. Bereits 2018 wollten ihn die Bayern holen, damals als Nachfolger von Jupp Heynckes. Doch die Münchner zögerten zu lange - und Tuchel unterschrieb bei Paris St. Germain. Mit dem FC Chelsea gewann er 2021 die Champions League.
In München warten auf ihn sofort die Wochen der Wahrheit: Der Kracher gegen Tabellenführer Dortmund, der seit der WM-Pause zehn Punkte mehr holte als die Bayern, die Duelle mit Freiburg im Pokal-Viertelfinale und in der Liga, dann das Gigantentreffen mit Manchester City um Stürmerstar Erling Haaland in der Königsklasse.
Zunächst wird Tuchel die Spieler für sich einnehmen müssen, die zuletzt immer mehr auf Distanz zu Nagelsmann gegangen waren. „Der Trainer hat die Kabine verloren“ - das ist von jeher das klassische Trennungsmotiv, vor allem im Münchner „Haifischbecken“. So ging es Carlo Ancelotti oder Niko Kovac - und jetzt Nagelsmann.
Zweifel am von den Bossen einst selbst so betitelten „Trainertalent“ gab es schon seit der Vorsaison mit den peinlichen Pleiten gegen Borussia Mönchengladbach im Pokal (0:5) oder in der Champions League gegen den Außenseiter FC Villarreal. Jetzt fürchteten Vorstandschef Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidzic wohl ein Deja-vu der bösen Art.
Rund um das Duell mit Tuchels Ex-Klub PSG in der Königsklasse (1:0/2:0) gab es zwar mehrere Treueschwüre - von Kahn über Salihamidzic bis hin zu Präsident Herbert Hainer und dem einstigen Patriarchen Uli Hoeneß. Doch die ernüchternde 1:2-Niederlage am vergangenen Sonntag in Leverkusen brachte eine neue Dynamik.
Zumal die Bayern fürchten mussten, dass ihnen ihr Traumtrainer Tuchel erneut durch die Lappen gehen würde. Tottenham Hotspur war an ihm dran, bei Real Madrid war er perspektivisch als Ancelotti-Erbe im Gespräch. Der Posten des englischen Nationaltrainers von Gareth Southgate soll ihn gereizt haben.
Die Umstände der Nagelsmann-Freistellung, wie die Trennung aus vertragsrechtlichen Gründen genannt werden soll, führten im Münchner Fanlager zu Kritik. Wie Nagelsmann wurden auch die Spieler kalt erwischt.
Winter-Zugang Joao Cancelo reagierte überrascht und wünschte Nagelsmann „alles Glück der Welt“. Er wolle sich „bei ihm bedanken. Er war es, der mich bei den Bayern haben wollte, ebenso wie die Klubführung“, sagte er nach dem 4:0-Sieg mit Portugal im EM-Qualifikationsspiel gegen Liechtenstein in einem TV-Interview.
Für den frühen Nachmittag wurden erste Reaktionen aus dem Lager der DFB-Auswahl erwartet: Neben Bundestrainer Hansi Flick, in München Vorgänger von Nagelsmann, war Nagelsmann-Intimus Joshua Kimmich für die Pressekonferenz (13.00 Uhr) angekündigt worden.