Elfmeter-Held Manuel Neuer hatte es sich vor der Kurve mit den Bayern-Anhängern im Bernabéu bequem gemacht, als das Undenkbare geschah. "Manu Neuer", hallte es ihm aus 4000 Kehlen entgegen. Die Fans, die ihn über Monate angefeindet hatten, forderten ihn als Vorsänger - und machten in diesem Moment ihren Frieden mit dem früheren Schalker. Neuer, das wurde erneut deutlich, als er den Platz verließ, ist nach schweren Zeiten an diesem denkwürdigen Abend in Madrid endlich angekommen beim FC Bayern - der Münchner Anhang verabschiedete ihn mit mit "Manu, Manu, Manu"-Sprechchören in die Katakomben.
Neuer war klug genug, die Vorsänger-Rolle Bastian Schweinsteiger zu lassen, dessen Elfmeter die Bayern ins "Finale dahoam" brachte. Zuvor hatte er mit seinen Glanztaten gegen Cristiano Ronaldo und Kaká ("mir liegen Südländer") die Herzen der Fans im Sturm erobert und Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge zu einer ungewöhnlichen Liebeserklärung genötigt. "Ich liebe Manuel Neuer", rief der Bayern-Boss im Überschwang der Gefühle aus.
Das war der Auftakt für einen wahren Schwall an Lobeshymnen. Bundestrainer Joachim Löw fand Neuer "überragend. Bei den Elfmetern hatte man das Gefühl, dass er riesengroß ist. Das war eine Weltklasseleistung."
Bayern-Präsident Uli Hoeneß, der Neuer in einem flammenden Appell bei der jüngsten Jahreshauptversammlung verteidigt hatte, platzte fast vor Genugtuung. Gerne, das darf man ohne Übertreibung annehmen, hätte er den Neuer-Gegnern wohl das ein oder andere bayerische Schimpfwort an den Kopf geworfen, doch er sagte: "Ich hoffe, dass jetzt der Letzte begriffen hat, warum wir Manuel Neuer geholt haben. Er ist ein Weltklassetorwart und hat das wieder bewiesen."
Allerdings: Diese Hoffnung, das weiß Hoeneß selbst am besten, wird sich nicht erfüllen. Er glaube nicht, sagte Hoeneß am Donnerstagmorgen, dass "diese kleine Gruppe von 20 bis 40 Leuten" Ruhe gebe. "Völlig daneben", findet er, was Neuer alle 14 Tage in der heimischen Arena erlebt - Anfeindungen von den eigenen Fans, die den Verein gar dazu bewogen haben, die Fangzäune hinter den Toren wieder hochzuziehen. Der FC Bayern, kündigte Hoeneß an, werde das nicht länger akzeptieren und "über Konsequenzen sprechen".
Das überwältigende Gros der Fans hat Neuer aber nun hinter sich - auch dank der Überzeugungsabeit von Hoeneß, seinem wichtigsten Förderer im Verein. Dem platzte unlängst der Kragen, als es ein Münchner Journalist gewagt hatte, die - nicht wenigen - Patzer des Torwarts in dieser Saison zu thematisieren. Mit einigem Recht verwies er darauf, dass Neuer die Bayern mit einer Elfer-Parade gegen Håvard Nordtveit schon ins DFB-Pokalfinale brachte.
In der Mannschaft, betonte Kapitän Philipp Lahm, habe all das keine Rolle gespielt. "Manu ist voll integriert und geht immer vorneweg", sagte er, und adelte den Schlussmann: "Er ist einer der besten, wenn nicht gar der beste der Welt. Er ist noch jung und kann über Jahre hinaus die Nummer 1 sein. Was der hält, ist sensationell." Sportdirektor Christian Nerlinger war "voller Freude für Manuel, er war unser Fels in der Brandung."
Neuer selbst war bemüht, dem Geschehenen die historische Dimension zu nehmen. Vergleiche mit Oliver Kahn, der den Bayern im Elfmeterschießen 2001 gegen den FC Valencia zum bislang letzten Mal den Triumph in der Königsklasse beschert hatte, wehrte er bestimmt ab. "Das mag ich nicht." Und als alleiniger Held wollte er sich auch nicht sehen. "Wir alle sind Helden!", sagte er.
Und doch musste er immer wieder erklären, wie er die beiden Schüsse der Real-Stars abwehrte. "Ich bin in einer solchen Situation total fokussiert, ich bin da in einer anderen Welt. Ich weiß da gar nicht, was um mich herum passiert", versuchte er sich - und klang dabei doch ein bisschen wie Kahn.