Der Bundestrainer geriet deshalb in der Diskussion um eine Begnadigung von Kevin Kuranyi erneut unter Druck. Denn während die aktuellen Nationalstürmer Miroslav Klose, Mario Gomez und Lukas Podolski einmal mehr ohne Torerfolg blieben, setzten Kuranyi und auch Leverkusens Stefan Kießling in Abwesenheit von Löw ihr Wettschießen in der Bundesliga weiter fort. Gemeinsam mit dem Bosnier Edin Dzeko rangieren "K+K" mit 18 Treffern an der Spitze der Torjägerliste. Eine bessere Bewerbung für eine Teilnahme an der WM in Südafrika (11. Juni bis 11. Juli) mit der deutschen Nationalmannschaft kann es eigentlich nicht geben.
Das sah am Wochenende auch Leverkusens Trainer Jupp Heynckes so, nachdem sein Schützling Kießling beim 2:3 der Bayer-Elf in Frankfurt ein Doppelpack erzielt und auch Kuranyi beim 1:2 der Schalker gegen die Bayern getroffen hatte. "Ich finde Stefan Kießling klasse, aber ich finde auch Kevin Kuranyi sehr gut. Mit beiden können wir in Südafrika sicher was anfangen", sagte Leverkusens Trainer Jupp Heynckes und fügte mit Blick auf die derzeit formschwachen Angreifer Klose und Podolski hinzu: "Und wenn Lukas und Miro auch wieder anfangen zu treffen, dann haben wir bei der WM einen vielversprechenden Angriff."
67 Tage vor Beginn der ersten WM auf dem afrikanischen Kontinent deutet derzeit allerdings nichts darauf hin, dass Klose oder Podolski noch rechtzeitig in WM-Form kommen. Während Podolski seit Wochen schwächelt und mit seiner Rolle beim abstiegsgefährdeten 1. FC Köln völlig überfordert ist, kann Klose als Bankdrücker bei Bayern München nicht einmal Spielpraxis sammeln.
Das Dilemma im Angriff der Nationalmannschaft ist derzeit so groß, dass sich am Wochenende sogar DFB-Sportdirektor Matthias Sammer dazu aufgerufen fühlte, Löw öffentlich den Rücken zu stärken. Die kritisierte Abwesenheit des Bundestrainers beim Topspiel wollte Sammer nicht überbewerten. "Er ist der Bundestrainer. Er trifft die Entscheidung mit Kuranyi und er trifft die Entscheidung, welches Spiel er sieht. Wer das nicht akzeptiert, muss selber Bundestrainer werden", sagte Sammer, der als einer der Kandidaten gilt, falls Löw nach der WM seinen Vertrag nicht verlängern sollte.
Ohne Löw wäre der Weg für den seit seiner unüberlegten Flucht beim WM-Qualifikationsspiel der DFB-Auswahl gegen Russland im Oktober 2008 suspendierten Kuranyi wahrscheinlich wieder frei. Für seine erste WM-Teilnahme ist der 52-malige Nationalspieler aber auf Löws Gnade angewiesen. "Ich muss weiter erfolgreich spielen und dann liegt die Entscheidung bei jemand anderem", sagte der 28-Jährige, den auch die Abwesenheit Löws am Samstag nicht aus der Ruhe brachte: "Ich wusste, dass der Bundestrainer nicht im Stadion ist. Aber darüber mache ich mir keine Gedanken. Ich mache mir nur Gedanken über mich selbst."