Auf knapp 100 Seiten haben die Herausgeber Tani Capitain und Marcus Kalbitzer versucht, einen Spieltag an der Hafenstraße zwischen zwei Buchdeckeln einzufangen. Eine Ehrerbietung von Menschen, die selbst die längste Zeit ihres Lebens Teil des vielbesungenen Mythos Hafenstraße waren für ein in die Jahre gekommenes Stadion, das in den letzten Zügen liegt und alsbald das Zeitliche segnen wird. Im Angesicht dieser historischen Wegmarke verfolgten die Herausgeber eine Rückrunde lang Rot-Weiss Essens Heimspiele. Während auf dem Feld eine junge Mannschaft im Begriff war, dem insolventen Fünftligisten seit langer Zeit wieder Erfolgserlebnisse zu bescheren, suchten die Fotografen nicht nach den großen Sportmomenten auf dem Rasen, sondern nach diesem besonderen Gefühl, das die Summe aus all den kleinen Akteuren und Statisten eines Spieltags im Georg-Melches-Stadion ausmachen.
Foto: Capitain / Kalbitzer.
Eben dieses Einfühlungsvermögen machen die detailreichen Aufnahmen zu einem spürbaren Erlebnis. Mit kundigem Blick leitet die Kamera uns durch die verborgenen Winkel und großen Bühnen dieser traditionsträchtigen und freilich auch mächtig angestaubten Sportstätte, mehr noch: dem gesamten Areal rund um die Hafenstraße. Capitain und Kalbitzer führen in sieben Kapiteln durch das Ritual eines Spieltags. Zwei Stunden vor Anpfiff wird in den Buden und Verkaufsständen ringsherum die erste Zusammenkunft zelebriert. Auf dem Vorplatz des Stadions füllt sich die Kulisse, ehe es zum Hauptakt des 14-tägigen Schauspiels auf die wacklige Tribüne geht. Doch auch in Winkel, die nicht jeder Besucher kennt oder zu Gesicht bekommt, gewähren die Aufnahmen Zutritt. Aufnahmen auf dem Platz oder während der Pressekonferenz gehören ebenso dazu wie Pfandflaschensammler oder Würstchenverkäuferinnen.
Quelle: Capitain / Kalbitzer.
In der Rückschau ist man geneigt, selbst Alltägliches romantisch zu verklären. Bemerkenswert ist jedoch, dass dieser Bildband – zumindest für wenige Wochen – noch den Ist-Zustand dokumentiert und dennoch gleichsam emotional bewegt. Den Herausgebern ist ein liebevoller Blick auf eine ganz offensichtlich allzu vertraute Kulisse gelungen, die es so bald nicht mehr geben wird. Ganz gleich, ob man an der Hafenstraße heimisch ist, oder noch nie Essener Boden betreten hat: Hier offenbart sich der Zutritt in eine sehr besondere Welt. Gerade, aber beileibe nicht nur für Fans dieses Vereins ist „Das Gefühl Hafenstraße“ ein kostbares Kleinod, weil es mit wenigen liebevollen Blicken die Geschichte von Jahrzehnten erzählt. Nicht zufällig betont Capitain, dass die erste Reaktion auf dieses Bildwerk ein Grinsen gewesen sei. „Das Gefühl Hafentraße“ beschreibt eben dies so treffend, wie es noch so viele blumige Worte nicht könnten.
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