Der Titelgewinn scheint utopisch, das erhoffte Halbfinale nur im Optimalfall erreichbar und selbst ein Scheitern in der Vorrunde nicht ausgeschlossen: Angesichts der durchwachsenen Vorbereitung, den fast schon obligatorischen Verletzungssorgen und dem noch nicht abgeschlossenen personellen Umbruch geht die Auswahl des Deutschen Handball-Bundes (DHB) nur als Außenseiter in die EM in Österreich. Beim Auftakt gegen Polen am Dienstag in Innsbruck (18.30 Uhr/live im ZDF) steht das Team von Bundestrainer Heiner Brand bereits unter Druck. "Wir müssen vom ersten Gruppenspiel an am Limit spielen, um erfolgreich zu sein", sagt der Coach und dämpft kurz vor Turnierbeginn die Erwartungen: "Wir gehören sicher nicht zu den Favoriten." So ist Platz drei in der Vorrundengruppe C mit Polen, Slowenien und Schweden das Minimalziel, um zumindest die Hauptrunde zu erreichen. "Wir können gegen alle Teilnehmer verlieren, aber mit Spaß und Engagement auch gegen 14 der 15 anderen Teams gewinnen", sagt Brand. Dabei nimmt der 57-Jährige nur Olympiasieger und Weltmeister Frankreich aus: "Die Franzosen sind schwer zu schlagen und auch mein Topfavorit."
Pascal Hens (Foto: firo).
Auch wenn die Vorbereitung mit zwei mühsam erkämpften Siegen gegen Österreich und Brasilien sowie zwei Niederlagen gegen Island nicht gerade optimal lief, geht die deutsche Mannschaft nicht ohne Hoffnungen in die EM. "Die Vorbereitung hatte wie in jedem Jahr Höhen und Tiefen. Aber die Jungs haben sehr gut mitgezogen. Wenn die Mannschaft aus den Fehlern lernt, können wir auf Augenhöhe mit den Topteams sein", meint Brand. Ohne die verletzungsbedingt fehlenden Leistungsträger Pascal Hens und Sebastian Preiß ruht die Verantwortung im DHB-Team auf wenigen Schultern. An unumstrittenenen Führungsspielern mangelt es dem Weltmeister von 2007. "Es ist anders als damals, aber es ist schon eine gewisse Hierarchie da. Auch jetzt ist die Mannschaft in sich als Gefüge gefestigt", sagt Brand. So sollen Spielmacher Michael Kraus (TBV Lemgo), Torwart Johannes Bitter, Torsten Jansen (beide HSV Hamburg) und Abwehrchef Oliver Roggisch (Rhein-Neckar Löwen) mit ihrer Erfahrung das Team in schwierigen Situationen mitreißen. Besonders Kraus steht als Kapitän in der Pflicht. "Ich bin bereit, zusammen mit anderen voranzugehen, aber ich spüre dadurch keine Last. Das treibt mich eher an", sagt der 26-Jährige.
Michael Kraus (Foto: firo).
Auch Kraus will die Ziele nicht zu hoch hängen. "Das Halbfinale wäre ein toller Erfolg, aber wir sollten nicht zu viel träumen. Die anderen haben uns auf dem Zettel, und wir können gegen jeden verlieren", sagt der Rückraumspieler: "Uns muss ein guter Start glücken, dann kann viel passieren." Schon einen Tag nach dem Auftaktspiel gegen Polen geht es am Mittwoch gegen die vom früheren Kieler Meistercoach Noka Serdarusic trainierten Slowenen. Zum Abschluss der Vorrunde wartet am Freitag Rekord-Europameister Schweden. "Gegen Slowenien haben wir zweimal in der Quali gewonnen, aber das sollte nicht zu vorschnellen Schlüssen führen. Schweden ist eine unangenehme Mannschaft und mit uns zu vergleichen. Auch sie haben den personellen Umbruch noch nicht ganz abgeschlossen", sagt Brand. Sollte man die Hauptrunde erreichen, drohen noch härtere Brocken wie Frankreich und Spanien. Dagegen sind Mannschaften wie der WM- und EM-Zweite Kroatien oder Titelverteidiger Dänemark durch den Spielplan frühestens im Halbfinale Gegner des deutschen Teams. Doch so weit will die DHB-Auswahl noch nicht denken, wie Kraus bestätigt: "Wir können erst einmal nur von Spiel zu Spiel schauen, aber wir haben auch schon gezeigt, dass wir uns selbst bei einem holprigen Turnier-Start steigern können." Unterstützung erhofft man sich dabei von den deutschen Fans, die zu Tausenden in Innsbruck erwartet werden. Einen Vorgeschmack erhielt die Brand-Truppe schon beim Test gegen den EM-Gastgeber vor knapp zwei Wochen in der Olympiahalle. Kraus hofft auf ähnlichen Zuspruch ab Dienstag: "Hoffentlich reisen viele Fans aus Deutschland an, damit wir einen kleinen Heimvorteil haben."