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Oskar Siebert: Erinnerungen an 1958 und Jens Lehmann
Schalke statt Olympia

Oskar Siebert: Erinnerungen an 1958 und Jens Lehmann

Die Kneipe in seiner Wahlheimat Gran Canaria hat er vor kurzem abgegeben. Seine Dynamik und sein mitreißendes Charisma, das er während seiner drei Amtszeiten als Präsident der Königsblauen auf unzähligen Jahreshauptversammlungen zum Einsatz brachte, hat Günter Siebert dagegen behalten.

Wie selbstverständlich schlüpfte „Oskar“ am Sonntag bei der Wiedersehensfeier der Meistermannschaft von 1958 zu Ehren des 50. Jahrestages sofort in die Hauptrolle. Hier ein Gespräch mit der Presse, dort ein Bussi für die Gattinnen und zwischendurch wurde das Team für ein Foto aufgestellt. Der ehemalige Mittelstürmer, gleichzeitig eine der schillerndsten und umstrittensten Persönlichkeiten der Vereinsgeschichte, hat auch als 77-Jähriger nichts verlernt. Im Interview mit RevierSport lässt Siebert sein blau-weißes Leben Revue passieren. Günter Siebert, Sie haben mit Schalke 04 als Spieler und später als Präsident und Kurzzeitmanager unzählige Geschichten erlebt. Welchen Stellenwert hat die Meisterschaft von 1958 für Sie? Eine Deutsche Meisterschaft vergisst man nie. Wenn man überlegt, dass wir nun schon 50 Jahre darauf warten, dann kann man den Stellenwert in etwa einordnen. Das war unvorstellbar und eine der schönsten Erinnerungen meines Lebens. Wir waren doch alle Jungs aus kleinen Verhältnissen, die sich einen Traum erfüllt haben. Mein Vater war Kraftfahrer, meine Mutter Putzfrau. Und dann erlebst du diese Menschenmassen, die uns zujubelten, die großen Fabriken, die mit ihren Sirenen hupten, als wir uns wieder Richtung Gelsenkirchen bewegten. Es schien, als ob sich in diesem Moment das ganze Leben um uns herum drehte. Es war einfach unvorstellbar.

So unglaublich, dass Sie nach ihrer relativ kurzen Karriere, die sie bereits 1959 wegen einer Meniskusoperation nach 118 Spielen und 61 Toren für Schalke 04 wieder beenden mussten, 1967 unbedingt Präsident auf Schalke werden mussten? Nein, seit ich zwölf Jahre alt war, habe ich als kleiner Bub zu Hause in Kassel von diesem Schalke geträumt. Ich wusste zwar nicht so genau, wo das eigentlich lag. Aber ich wollte unbedingt dorthin. Und das lag eher an einem Zufall. Mein Vater war im zweiten Weltkrieg in Frankreich stationiert. Während eines 14-tägigen Heimaturlaubs spielte Schalke in der Gaumeisterschaft gegen Hessen Kassel 03. Mein Vater nahm mich mit und sagte: 'Und jetzt mein Junge, kannst du mal Fritz Szepan und Ernst Kuzorra, die besten Fußballer Deutschlands, sehen'. Seit diesem Tag stand für mich fest, dass ich für Schalke Fußball spielen will. Acht Jahre später habe ich dann meinen ersten Vertrag unterschrieben. Wie bewerten Sie im Nachhinein ihr Wirken auf Schalke? Wissen Sie, Fehler machen wir alle. Aber es sind die kleinen Dinge, die am Ende in Erinnerung bleiben. Zum Beispiel mein erster Tag in Gelsenkirchen. Es war der 1. Mai 1951, als ich meinen Vertrag unterzeichnete. Ich gehörte damals zum Nationalmannschaftskader für die Olympiade in Helsinki. Wir mussten Trainer Sepp Herberger unser Wort geben, dass wir vor der Olympiade 1952 keine Profis werden. An jenem Tag nahm mich Fritz Szepan auf dem Rasen der alten Glückaufkampfbahn in den Arm und sagte zu mir: 'Junge, was ist eine Olympiade, wenn du das blau-weiße Trikot tragen darfst?' Da habe ich dann unterschrieben. Sepp Herberger hat mich fünf Jahre lang nicht mehr angeguckt. Und von meiner Mutter bekam ich eine Ohrfeige, weil ich erst spät in der Nacht nach Hause kam. Ich war nach damaligem Recht mit 20 ja noch nicht volljährig. Die Ernennung zum Präsidenten hatten zu Ihrer Zeit, als die Anhänger den Vorsitzenden noch direkt wählen konnten, Stammtisch-Charakter. Das Wort von den Schalker Verhältnissen machte die Runde. Als Sie nach 1967 und 1978 im Jahr 1987 zum dritten Mal S04-Vorsitzender wurden, lebten Sie zuvor schon einige Jahre auf Gran Canaria. War es ein Fehler, noch einmal zurückgekehrt zu sein? Hatte ich eine Wahl? Ich wollte ja gar nicht mehr zurück. Aber der Ernst Kuzorra und der Ötte Tibulski haben am Telefon so lange auf mich eingeredet, bis ich zugesagt habe, zu kandidieren. Ich hatte den beiden einfach zu viel zu verdanken. Sie haben immer wieder gesagt, der Rudi Assauer und der damalige Präsident Fenne machten den Verein kaputt. Ich sei der Einzige, der das verhindern könne und ich müsse unbedingt kommen. Also habe ich mich irgendwann in den Flieger gesetzt. Aber der Fußball war nicht mehr der gleiche, wie 1967.

20 Monate und einen Abstieg später zogen Sie die Reißleine! Aber nicht, ohne das sportliche Fundament für die Mannschaft zu legen, die 1997 UEFA-Cup-Sieger wurde. Ich habe Andreas Müller und Ingo Anderbrügge verpflichtet. Und ich habe Jens Lehmann entdeckt. Auf meinen Fußballverstand konnte ich mich immer verlassen. Nachdem ich Jens bei einem A-Jugendspiel zwischen Schwarz- Weiß Essen und Schalke gesehen habe, bin ich sofort zu seinen Eltern gefahren und habe ihm einen Vertrag angeboten. Ich konnte das gar nicht glauben, dass den noch keiner entdeckt hatte. Mein Glück war, dass ich zwei Tage zuvor sein großes Vorbild Toni Schumacher aus Köln geholt hatte. Das durfte damals noch keiner wissen. So war Jens einer der ersten, der es erfahren hat. Er hat 26.000 DM gekostet, 1998 hat ihn Rudi Assauer für acht Millionen DM an den AC Mailand verkauft. Was bedeutet Ihnen Schalke heute? Schalke ist eine Kinderliebe, die sich in Form eines wunderschönen Lebenstraums verwirklicht hat. Ich bin jetzt seit 58 Jahren im Verein und damals mit 50 Mark in der Tasche und einer Kiste Habseligkeiten nach Schalke gekommen. Und wer mein Leben kennt, weiß was ich daraus gemacht habe. Aber ich bin immer derselbe geblieben, habe immer auch gegönnt. Deshalb habe ich auch vor kurzem meinen Pub auf Gran Canaria, dessen Wert auf 500.000 Euro taxiert war und der immer noch sehr gut läuft, für ganz kleines Geld an drei meiner langjährigen Angestellten verkauft, damit die sich eine Existenz aufbauen können, und mich zur Ruhe gesetzt.

Nur eine weitere Meisterschaft blieb Ihnen bis heute nicht vergönnt! Wir waren fünfmal dicht dran. 2001 wurden wir von Herrn Merk darum gebracht. Und in der letzten Saison lag es am fehlenden Fußballverstand von Mirko Slomka. Der hat permanent falsch ausgewechselt. Deswegen bin ich froh, dass der jetzt weg ist. Ich habe mir deshalb von der Vereinsführung schon Ärger eingehandelt. Aber ich kann doch nicht weggucken und schweigen, wenn ich sehe, was da alles schief gelaufen ist. Das habe ich nie gemacht. Aber ich bin großer Hoffnung, dass ich noch eine Meisterschaft erleben werde. Ich habe mich neulich von einem Professor untersuchen lassen. Meine Werte sind top. Das liegt wohl auch daran, dass ich noch täglich im Atlantik schwimme, wenn ich auf Gran Canaria bin. Genießen Sie ihr Leben als Rentner jetzt mehr als früher? Ich war immer ein Junge aus dem Leben. Aber ich gehe im Alter anders mit den Dingen um. Und ich sage Ihnen, dass ist so etwas Herrliches. In der Erinnerung liegt das Leben. Denn wer keine Erinnerungen hat, der hat auch nie gelebt. Sind Sie deshalb auch wieder häufiger Deutschland anzutreffen? Ich suche mir inzwischen das Beste heraus. Ich lebe zur Hälfte in Kronberg in Hessen und zur Hälfte in meinem Haus auf Gran Canaria. Und ich habe zwei Herzen in meiner Brust. Ein kanarisches und ein blau-weißes.

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